Pollyester: Inspiriert vom Größenwahn
AZ: Polly, der Titel der neuen CD bezieht sich auf die City of Orion, eine weitflächige Land-Art-Skulptur, die der Künstler Voth in der marokkanischen Wüste installiert hat: sieben Beobachtungstürme aus Lehm, die in Bezug zum Orion stehen.
POLLY: Unser Schlagzeuger Manuel war vor Jahren dort und kam zurück mit einem Haufen analoger Fotos. Eins davon hat er mir eingerahmt. Die Stadt von Orion hing seitdem an der Wand in meinem Wohnzimmer. Ich schaute immer drauf und dachte mir: Mein Gott, das muss ich sehen! Dann fingen wir an, die neue Platte aufzunehmen, und die war zunehmend inspiriert von dem Bild dieser Stadt, von dem Größenwahn, der diesen Mann geritten haben muss. Dass jemand sagt, ich setze eine Stadt mitten in die Wüste – und das auch tut, finde ich faszinierend. Es ist auch so surreal, dass diese Bauten keinen anderen Zweck haben, als eine Art Kirche zu sein, eine Huldigung an ein Sternbild. Es ist ein spiritueller Ort, entstanden aus einer spirituellen Idee.
Spielt denn für Ihre Musik Spiritualität eine große Rolle?
Eher weniger. Es geht vielmehr um diesen Sehnsuchtsort, darum, dass es manchmal der bessere Weg ist, wenn man ihn nicht besucht, sondern ihn als Inspirationsquelle benützt. William Shakespeare ist zum Beispiel nie in Venedig gewesen, hat aber den „Kaufmann von Venedig“ geschrieben und die Stadt detailliert beschrieben. Mir gefällt der Gedanke, dass wir damit so umgehen wie vor vielen hundert Jahren, als eine wochenlange Reise nötig gewesen wäre, um dorthin zu kommen. Dass man sich von dem Traum dieses Ortes ernährt.
Das Album fängt fern des Orions an, mit einer Geräuschkulisse, die nach Party klingt.
Das soll eine einladende Geste sein. Nachdem unser letztes Album drei Jahre her ist, wollten wir etwas am Anfang haben, das nicht wie eine Kampfansage klingt, sondern unsere Zuhörer freundlich einlädt. So kann man geschmeidig in das Album reinrutschen. Das ganze Lied ist eine Hommage, da werden Leute, Freunde erwähnt, die uns schon lange begleiten. Dann gibt es surreale Bilder, eine Assoziationskette, um in die Platte hineinzuführen.
Die Assoziationskette zieht sich dann durch, führt zu einem Song wie „Jalousie“, der am Anfang so klingt, als ob ein durchgeknallter Frauen-Chor Stimmübungen macht.
Das habe ich eingesungen, so ein bisschen beiläufig, wie um einen Skat-Gesang zu veräppeln: Dab-dadaba... Wir haben das dann viele Male übereinandergeschichtet und gegeneinander gepitcht, so dass dieser Chor entstand. Das Wort Jalousie ist für mich ein Faszinosum, es kommt ja ursprünglich aus dem arabischen Raum. Ein Scheich hat die Jalousie erfinden lassen, um von außen die Kontrolle über seinen Harem zu haben, während die Frauen drinnen nicht sehen konnten, dass sie beobachtet wurden. Später wurde daraus das englisch-französische Wort für Eifersucht. Wir im Deutschen verbinden Jalousie heute eher mit einem Großraumbüro als mit einem Scheich und Harem.
Im Video zu „Change Hands“ sieht man Ausschnitte eines im Monty-Python-Stil animierten Kurzfilms: „Nachtrag zu Orwell“. Da verwandeln sich Menschen, angestiftet durch einen Anführer, buchstäblich in eine Menge von Arschgesichtern. Das wirkt ja durchaus wie ein Kommentar zu Pegida.
Ja, Sebastian Schnitzenbaumer von Schamoni hat uns freundlicherweise Einsicht in sein Film-Archiv gewährt und uns dieses Material zur Verfügung gestellt. Wir fanden es fantastisch für das Lied. Und es ist schon unglaublich, wie dieser Film aus den 80ern zu der aktuellen Situation passt.
Es ist gar nicht so leicht, in Worte zu fassen, was für Musik Sie machen: Disco, Post-Punk…
Das sind alles Referenzen, die auch zutreffen: Disco, New Wave, No Wave, darin ist unsere Musik auf jeden Fall verankert. Die Leute bringen uns auch oft mit Krautrock in Verbindung, was ich schön finde, weil wir das selbst viel hören.
Der Computer spielt bei Ihnen kaum eine Rolle.
Ja. Es spielt ein Schlagzeug, eine Bass-Gitarre, ein analoger Synthesizer, es stehen Verstärker da. Neuerdings haben wir eine MPC auf der Bühne, ein Gerät, mit dem man Samples einspielen kann. Aber wir haben vornehmlich analoges Equipment.
Manche Songs drehen sich um Einsamkeit.
Durch die Stadt von Orion kam dieser Gedanke der Wüste auf…
…auch einer inneren Wüste.
Ja.
Wenn Sie live spielen - tauchen Sie ins Gemeinschaftsgefühl ein oder sind Sie ganz bei sich?
Beides. Mir ist der Kontakt mit dem Publikum wichtig: Meine Mikros sind immer voller Lippenstift, weil ich es ihnen nicht abkaufe, dass sie meine Stimme übertragen. Andererseits zeigt die Erfahrung: Es ist umso toller, je mehr ich bei mir bin.
Pollyester: „City of O.“ (Disko B/Schamoni Musik). Am Do, 28.2., 21 Uhr, treten Pollyester in den Kammerspielen auf (danach Album-Release-Party). Karten: Tel.: 233 966 00
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