Poetry Slam in München: Eine Brezn für den Sieger
Alex Burhard ist amtierender deutschsprachiger Meister im Poetry Slam, Yannik Sellmann hält den bayerischen Titel. Am Wochenende treten sie gegeneinander an.
AZ: Alex, seit es die Münchner Poetry Slam Stadtmeisterschaften gibt, hast du sie jedes Mal gewonnen. Fühlt es sich für euch so an, als stünde das Ergebnis auch dieses Mal schon fest?
Alex: Für mich fühlt es sich so an, als würde ich dieses Mal nicht gewinnen. Die guten Texte habe ich die letzten Jahre gelesen und wenige neue geschrieben, weil ich in der Zwischenzeit viele andere Dinge gemacht habe. Außerdem weiß ich, was die anderen Teilnehmer zu bieten haben.
Yannik: Ich hab bei Slams generell selten das Gefühl, dass irgendwas vorab feststeht. Es gibt immer ein paar Personen die gewinnen könnten und es kann immer alles passieren. Klar rechnet man sich Chancen aus, aber sich zu viele Gedanken zu machen, halte ich für ungesund.
Alex: Es hängt auch viel von Dingen wie der Startposition, der Laune der Jury, der Tagesform und so weiter ab. Wenn man schon vorher wüsste, wer gewinnt, würden vermutlich deutlich weniger Zuschauer kommen.
Ob zuletzt bei den deutschsprachigen Meisterschaften, beim Kampf um den bayerischen Meistertitel oder jetzt bei der Stadtmeisterschaft, ihr begegnet euch immer wieder in Endausscheidungen. Wie ist es da mit dem Konkurrenzdenken?
Yannik: Das Format setzt voraus, dass wir zumindest auf dem Papier alle Konkurrenten sind, aber es fühlt sich nicht so an. Man gönnt sich gegenseitig sehr viel, und gerade bei Alex habe ich nicht das Gefühl, dass es da irgendeine Rivalität gibt. Wenn ich gegen ihn verliere, finde ich das absolut logisch, weil Alex schon so lange dabei ist und ich erst seit zwei Jahren. Für mich ist er eher ein Vorbild.
Alex: Ich habe bei Slams in einem gewissen Maß schon Konkurrenzdenken. Das kommt immer etwas darauf an. Als es sich zum Beispiel vor kurzem bei den deutschsprachigen Meisterschaften zwischen Yannik und mir entschied, war es mir egal, weil auf jeden Fall jemand cooles gewonnen hätte. Aber auf dem Weg dahin hatte ich mir schon manche Teilnehmer angeguckt und gedacht: "An einem guten Tag stecke ich euch in die Tasche.“ Da geht es auch darum sich selbst zu pushen, damit der Auftritt gut wird. Indem ich das Konkurrenzdenken ein bisschen anstachele, hole ich mir das nötige Selbstvertrauen. Aber im Herzen fühlt es sich nie wirklich so an.
Yannik: Ich stehe bei Slams auch oft hinter der Bühne und überlege, ob die anderen vielleicht besser oder witziger oder irgendwas sind. Und natürlich will man es besser machen, aber wenn einer gegen mich gewinnt, will ich nicht zu dem hingehen und ihm mein Textblatt ins Gesicht schlagen.
Alex: Ich schau mir, im Gegensatz zu Yannik, die Auftritte der anderen nicht an. Sonst würde ich mich nur verrückt machen.
Yannik: Alex liegt immer wie ein Pharao hinter der Bühne und hört Musik. Ich hab das auch mal probiert, aber ich kann das nicht.
Schaut man sich generell viel bei anderen Slammern ab?
Yannik: Ich, auf jeden Fall. Ich mach es ja noch nicht so lange und merke, dass ich mich in vielen Bereichen noch sehr verbessern kann. Vieles lernt man auch unterbewusst. Oft hat man die besten Ideen nach Slamauftritten, weil man so viel Input von den anderen Teilnehmern bekommen hat. Alex ist zum Beispiel auf der Bühne sehr fokussiert, jedes Wort ist sehr überlegt und aufs Publikum abgestimmt. Ich dagegen rattere meine Texte oft total schnell runter, würde aber gerne mehr drauf achten, weniger Worte zu benutzen und die dann aber dafür besser. Das ist etwas, das ich von Alex lernen kann.
Alex: Ich mach das auch und habe genauso meine Vorbilder. Dazu kommt, dass man manchmal auch Dinge sieht, die man nicht gut findet und dann reflektieren kann, ob man das vielleicht auch selber macht.
Wie reflektiert ihr die eignen Auftritte? Schaut ihr Videos?
Alex: Von meinem Soloprogramm habe ich Aufnahmen, die ich mir ab und zu anschaue und auch von Slamauftritten gibt es Videos, aber ich reflektiere eher durch die Publikumsreaktion. Wenn ich zum Beispiel merke, ein Witz der gestern noch funktioniert hat, funktioniert auf einmal nicht mehr, dann muss ich mir überlegen, ob und was ich anders gemacht habe. Manchmal sagen einem Leute auch Dinge. Mit Anfang 20 hat mir zum Beispiel meine damalige Freundin gesagt, dass ich bei Lesebühnen wahnsinnig viel an mir rumkratzen würde. Seitdem weiß ich, ich muss schauen, was ich auf der Bühne mit den Händen mache.
Yannik: Was für mich gut funktioniert, ist mir Texte nochmal ein halbes Jahr nachdem ich sie geschrieben habe mit einem anderen Blick anzuschauen. So habe ich zum Beispiel gemerkt, dass ich mich in meinen Anfangstexten nicht getraut habe, eigene Witze zu machen. Stattdessen habe ich auf Klischees zurückgegriffen: BWL Studenten sind komisch, Nazis sind dumm, Frauen können nicht einparken, so etwas. Da hab ich mich dann nochmal hingesetzt und versucht das aus meinen Texten zu streichen. Vieles lese ich auch nicht mehr vor, weil ich es selber nicht mehr gut finde. Für mich ist es immer ein gutes Indiz wenn ich mich darauf Freude etwas vorzulesen.
Die Stadtmeisterschaften finden im Volkstheater statt und sind ausverkauft, die deutschsprachigen Meisterschaften wurden im Opernhaus Hannover veranstaltet. Poetry Slam ist schon lange keine Subkultur mehr. Wie verändert sich die Szene dadurch?
Alex: Ich merke, dass extrem viele junge Leute nachkommen, eben weil es jetzt bekannter ist. Viele wissen inzwischen auch wie Slams funktionieren und schreiben von Anfang an entsprechende Texte. Letzteres finde ich ein bisschen schade, aber es hat natürlich seine Berechtigung. Und es ist mehr Geld im Umlauf. Die Übernachtungsmöglichkeiten, die es heute gibt, gab es zum Beispiel vor zehn Jahren nicht mal ansatzweise. Yannik musste nie in einer Turnhalle in Göttingen auf einer Luftmatratze schlafen (lacht).
Yannik: Ich profitiere wahnsinnig davon, dass Slams für mich von Anfang an eine Wohlfühlzone waren. Ich war zum Beispiel letztes Jahr beim Deichbrand Festival zum Slam. Da durften wir in den Backstage-Bereich, hatten ein Hotel und Festivaltickets und Gage gab es auch. Das war das erste Mal, dass das so organisiert wurde. Generationen von Slammern haben das erkämpft, indem sie auf dem Festival-Campingplatz übernachtet und fast keine Gage bekommen haben. In einer Turnhalle hab ich tatsächlich noch nie geschlafen. Für all das bin ich sehr dankbar.
Und trotzdem ist die Szene noch offen für neue Gesichter?
Yannick: Na ja, bei mir schon. Ich weiß nicht, ob das daran liegt, dass ich ein cooler Typ bin oder daran, dass ich recht schnell recht viel Erfolg hatte. Aber ich hab es auch schon erlebt, dass man im Backstage irgendwelche Poeten trifft, die mit einem nicht reden, bis man ins Finale kommt. Die Münchner Szene ist aber generell offen und hat mich sehr gut aufgenommen, obwohl sie meine Texte am Anfang eher nicht so gut fanden.
Ihr sagt, inzwischen weiß man, was bei Slams funktioniert. Wie sehr beeinflusst euch das beim Texten?
Alex: Es gibt natürlich Themen und Stile, die es wahrscheinlicher machen, dass man gut ankommt. Wenn ich Texte schreibe interessiert mich das aber nicht, weil ich schreibe, weil etwas raus muss. Aber die Möglichkeit gibt es. Was zum Beispiel immer gut ankommt, ist gegen Nazis zu sein. Da rennt man viele offene Türen ein, weil in so einem Slampublikum in der Regel eher linke, reflektierte Menschen sitzen. Da in die Kerbe zu schlagen, finde ich persönlich aber ein bisschen billig. Wenn ich so etwas bediene, dann möchte ich das auf eine Art machen, mit der ich künstlerisch einverstanden bin.
Yannik: Ich hadere damit tatsächlich noch. Bei einigen Dingen bin ich mir irgendwann nicht mehr sicher, ob ich sie mache, weil ich weiß, dass sie gut ankommen, oder weil ich sie wirklich machen will. Derzeit würde ich zum Beispiel gerne einen Text über die Erinnerungskultur und den Holocaust schreiben, weil ich das Thema aktuell sehr wichtig finde. Ich fürchte mich aber auch davor, nur gut bewertet zu werden, weil es um den Holocaust geht. Ich habe ja auch viele Texte über meine psychische Krankheit geschrieben, möchte mich aber nicht in die Opferrolle drängen lassen und Slams gewinnen weil ich eine Psychose habe und darüber spreche. Aber: letztendlich sind Slamtexte ja fürs Publikum. Man sollte sich nicht anbiedern, aber wenn außer einem selbst niemand den Text versteht, bringt das auch nichts.
Zurück zu den Stadtmeisterschaften: Um was geht es für den Sieger?
Alex: Der Titel ist für Veranstalter und Folgeaufträge gut und auch in der Szene spricht es sich rum, aber Preisgeld oder ähnliches gibt es nicht. Ich wollte letztes Jahr eine Wanderbrezn als Pokal einführen. Dann habe ich selber gewonnen und das war ein bisschen blöd (lacht). Dieses Jahr würde ich die Brezn dann gerne loswerden.
Yannik: Bei den meisten Slams gibt es eher symbolische Trophäen. Ich sammele die trotzdem. Denn als ich jung war, hab ich nie irgendwas gewonnen. Insofern wäre auch die Bretzn interessant (lacht). Im Volkstheater ist natürlich vor allem die Atmosphäre etwas ganz besonderes, deshalb würde ich mich Freude weit zu kommen, aber ich gehe nicht unglücklich nachhause, wenn ich nicht gewinne.
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