"Peter Pan" von Emanuele Soavis - die AZ-Kritik
Das Ballett des Gärtnerplatztheaters zeigt "Peter Pan" in der Choreographie von Emanuele Soavis
Schon im Vorfeld bespielen dunkle Gestalten das glasüberdachte Foyer. In schwarzen Klamotten, die Gesichter vermummt, eröffnen Peter Pans freche Schatten mit Panflöten, Hula-Hoop-Reifen und stummen Interaktionen das Theatergeschehen. Dabei weiß eigentlich noch keiner, wer die faunisch-unheimlichen, kinderfreundlichen Gesellen sind. 40 Minuten später überzeugt ihr flirrender Bühnenauftritt in Multiplikation: Erst treibt einer, dann treiben zwei, schließlich 14 der kaum greifbaren, jederzeit fluchtbereiten Wesen ihren turbulenten Spaß mit und rund um Peter Pan in Emanuele Soavis’ Choreographie.
Nach seiner erfolgreichen Adaption von „Peter und der Wolf“ beauftragte das Staatstheater am Gärtnerplatz den Italiener Soavis damit, James Matthew Barries 1904 uraufgeführte Geschichte über den Jungen, der niemals erwachsen werden will, für die 20 Mitglieder des Ballettensembles tänzerisch umzusetzen – zusammen mit einer musikalischen Neukreation von Film-, Fernseh- und Tanztheaterkomponist Han Otten. Den könnten Münchner musikalisch schon von Jirí Kyliáns „Zugvögel“ am Bayerische Staatsballett kennen.
Der von vielen Kindern besuchten Premiere im Cuvilliéstheater bescherte Otten eine kaleidoskopische, akustisch-eingängige Soundkulisse, insbesondere für die wilden Kreistänze der Indianer und martialisch aufgelegten Piraten im Gefolge des bösen Kapitän Hook auf der Insel Nimmerland. Seine Kombination aus großem, melodisch eingängigem Orchesterklang und elektronischen, bedrohlich blechernen Überblendungen zitiert je nach szenischem Motiv verschiedene Musikstile und treibt die Tanzsequenzen stets rhythmisch voran.
Auf der Suche nach dem Schatten
Soavis ist selten um Ideen für starke Bilder verlegen. Gemeinsam mit den beiden Ausstattern Karl Fehringer und Judith Leikauf verortet er das gutbürgerliche Londoner Kinderzimmer der drei unermüdlich (und etwas zu lange) über ihre Betten tobenden Darling-Geschwister zwischen schrägen, altmodisch tapezierten Wandmodulen. Bestens im Blick: das große Fenster. Gleich zu Beginn knarzt es verheißungsvoll. Die Flügel klappen auf und Herbstlaub weht herein.
Kein übler Auftakt, dessen Wirkung Soavis jedoch leider verschenkt. Statt so dynamisch in die Erzählung einzusteigen, lässt er erst einmal die treu fürsorglichen Familienhündinnen (mit großen Plüschköpfen und kurzen Hausmädchenröcken: Patscharaporn Distakul und Vanessa Schield) mit dem Fegen der bunten Blätter Zeit schinden. Das strapaziert Aufmerksamkeit und Geduld.
Endlich schwingen sich mithilfe eines Turnrings zuerst die Fee Tinkerbell (Anna Calvo), dann Hauptprotagonist Russel Lepley als athletisch-liebenswerter Peter Pan durch das Portal. Dass sie auf der Suche nach Peters verschwundenem Schatten sind, muss man entweder wissen oder erraten. Viel wichtiger scheint für den Choreografen zu sein, dass der Einbruch des Fantastischen in die Welt familiärer Wirklichkeit nicht ohne Folgen bleibt. Kaum sind die Eltern aus dem Haus, lassen sich Wendy (Sandra Salietti), John (Javier Ubell) und Michael (Matteo Carvone) vom sorglosen Treiben der abenteuerlustigen und fliegenden Besucher anstecken.
So gelingt es Soavis im zweiten Teil doch noch, den Schleusen der Fantasie freien Lauf zu lassen: In einer fabrikartig-zusammengebastelten Gerüste-Landschaft treffen die Menschenkinder auf Peter Pans verlorene Jungs. Wer wie Wendy einer Taube gleich vom Himmel geschossen wird, den flicken die Elfen wieder zusammen. Die Bühne wird geflutet und im Kampf der Guten gegen die mordlustigen Piraten mächtig viel Wasser aufgewirbelt. Gefahr hat eben ihren Reiz, solange man Tote mit Tricks oder kräftigem Klatschen wieder zum Leben erwecken kann.
Die Momente, wo Interpreten und Publikum allerdings wirklich „zusammenkommen“, bleiben rar. Schade, denn allein das choreographisch durch vier Interpreten verkörperte Krokodil, das Kapitän Hook so fürchtet, hätte Potenzial zu mehr.
Noch bis 10. Mai, Cuvilliéstheater (Residenz). Altersempfehlung ab 6 Jahren. Karten: Telefon 21 85 19 60