Münchner Philharmoniker spielen in Moskau vor Putin

Der russische Präsident Wladimir Putin besucht das gemeinsame Konzert von Musikern aus München und St. Petersburg unter Valery Gergiev im Großen Saal des Konservatoriums.
Am Nachmittag beschnüffeln Schäferhunde die Fassade des Moskauer Konservatoriums. Am Eingang werden Taschen kontrolliert. Uniformierte blicken streng. Das Gerücht verdichtet sich: Der russische Präsident Vladimir Putin besucht das gemeinsame Konzert der Münchner Philharmoniker und des Mariinsky-Orchesters St. Petersburg unter Valery Gergiev.
So leicht können sich Niederlagen in Triumphe verwandeln. Im November zerschlug sich eine Nordeuropa-Tournee der Münchner Philharmoniker: Sie hätte nach Auftritten in Göteborg, Stockholm und Helsinki in St. Petersburg enden sollen. Doch dann kam dem Veranstalter der Sponsor abhanden. Valery Gergiev arrangierte daraufhin den gemeinsamem Auftritt seiner beiden Orchester in Moskau. Musiker aus München und St. Petersburg teilten sich die Pulte – ähnlich wie 2013 bei Mahlers Fünfter im Gasteig.
Für das Konzert gab es zwei Proben: eines im neuen Rachmaninow-Saal an der Moskauer Peripherie, das andere am Nachmittag vor dem Auftritt im Großen Saal des Konservatoriums. Das Mariinsky-Orchester kam aus dem russischen Fernen Osten: Gergiev hatte nach der Absage der Philharmoniker-Tour noch schnell einen Auftritt seiner Leute in Ulan-Ude eingeschoben.
Gespielt wurden Ausschnitte aus Sergej Prokofjews Ballettmusik „Romeo und Julia“ sowie dessen Klavierkonzert Nr. 2 mit dem russischen Pianisten Alexei Volodin. Nach der Pause gab es Anton Bruckners Symphonie Nr. 4, die „Romantische“. Dieses Leib- und Magenstück der Philharmoniker war für die Russen eher neu: Gergiev hat dieses Werk mit seinen Petersburgern bisher nur einmal aufgeführt – dafür aber an geweihtem Ort: im oberösterreichischen Stift St. Florian, wo der Komponist in der Gruft unter der Orgel ruht.
Gergiev kämpft für den Gasteig-Umbau
Dort wird Gergiev ab der übernächsten Saison mit den Philharmonikern alle Symphonien Bruckners aufführen. Was ihn an der Musik interessiert, ist ihm nicht leicht zu entlocken: Gergiev betont die Nähe Bruckners zu Wagner. Er spricht viel über Aufführungen des legendären russischen Dirigenten Jewgenij Mrawinskij, der diese Musik auch in sowjetischen Jahren aufgeführt hat. Aber dann lässt er sich an der Hotelbar von einem Fernseher ablenken und redet lieber über Fußball und russisches Bier.
Gergievs Zugang zu Bruckner ist vor allem emotional, was man den kraftvollen, aber nicht übermäßig subtilen Aufführungen deutlich anhört. Vom Fußball mäandert das Gespräch zum Klang und wie sich dieser Münchner Gasteig verbessern ließe. Während sich Mariss Jansons und das BR-Symphonieorchester seit über einem Jahrzehnt darüber beschweren und auf den Neubau im Werksviertel hoffen, experimentiert der Chefdirigent der Philharmoniker mit der Aufstellung des Orchesters. Und dies nicht ohne Erfolg.
Das provoziert einen Einwand: Könnte das nicht dazu führen, dass die Stadt ihre umstrittene Philharmonie aus Sparsamkeit so lässt, wie sie ist? Da wird Gergiev ungewöhnlich deutlich: Der Saal müsse an die Anforderungen der Gegenwart angepasst werden. „Dafür werde ich kämpfen“, sagt er so entschlossen, dass man ihm sofort kämpferische Auftritte im Stil seines legendären Vorgängers Sergiu Celibidache beim Oberbürgermeister zutraut.
Bei den Proben in Moskau wird deutlich, dass die Dauerlautstärke der Aufführungen nicht unbedingt Gergievs Absicht ist. „Wir sind noch weit unter dem Gipfel“, sagt er mahnend, als die Musiker am Beginn des Finalsatzes der „Romantischen“ bereits in einer Weise loslegen, wie man es bei der letzten Steigerung erwartet. Und auch bei Prokofjews „Romeo und Julia“ arbeitet er an Pianissimi im Schlagzeug. Dass die Musiker der beiden Orchester am Abend dann doch vor allem ihre unbändige Kraft demonstrieren, ist eine andere Sache.
Putin kommt zu spät
Vor Konzertbeginn bilden sich lange Staus an den Sicherheitsschleusen. Die billigen Plätze versuchen, mit Applaus den Beginn zu erzwingen. Doch Vladimir Putin lässt fast eine halbe Stunde auf sich warten, ehe er sich mit der stellvertretenden Ministerpräsidentin Olga Golodez auf einen Platz in der achten Reihe setzt und bis zur Pause bleibt.
Auf politische Symbolik verstehen sich die Russen. Gergiev durfte den Finanziers seines Opernhauses von der Sberbank beweisen, wie wichtig er ist. Die Münchner Philharmoniker sind nun Teil seines weltumspannenden Musik-Netzwerks. Von Münchner Seite wurde das Konzert etwas unterschätzt. Immerhin: Der CSU-Stadtrat und Kulturpolitiker Richard Quaas war da. Und – wenn auch zufällig – Toni Schmid vom Kunstministerium. Ob sich bei einem Gegenkonzert im Gasteig wenigstens der Oberbürgermeister blicken lässt?
Trotz aller Meinungsverschiedenheiten im Gespräch bleiben
Die Musiker der Münchner Philharmoniker wünschen sich eine Fortsetzung dieser Zusammenarbeit. Sie ist ungewöhnlich, denn normalerweise halten Chefdirigenten ihre Orchester auf Distanz. „Unser Prokofjew hat von ihrem Spiel profitiert, ihr Bruckner von unserem“, sagt eine Geigerin zu diesem Wandel durch Annäherung.Einen politischen Putin-Versteher sucht man im Orchester der Stadt allerdings vergeblich.
Auch in politisch schwierigen Zeiten muss man im Gespräch bleiben. Da hilft die wortlose Sprache der Musik. Es ist kein Zufall, dass an den Wänden im Großen Saal des Moskauer Konservatoriums außer dem Polen Chopin und russischen Klassikern nur Deutsche und Österreicher wie Bach, Mozart, Beethoven und Schubert prangen. Denn die Putins kommen und gehen. Aber die kulturellen Beziehungen beider Länder reichen traditionell tiefer, als mancher hierzulande glaubt.