Molieres "Tartuffe" im Residenztheater - die AZ-Kritik

Molières "Tartuffe", inszeniert von Mateja Koleznik im Residenztheater
Die Party im Hause Orgon ist offenbar schon länger im Gange. Die Gäste bewegen sich mehr oder weniger schwankend und tauschen ebenso gierig wie flüchtig Zungenküsse aus, wenn sie sich im Treppenhaus begegnen. Diese Verbindung zwischen Zimmern und Etagen ist der Schauplatz, an dem man sich trifft oder verstohlen einen Blick riskiert, wenn man niemandem begegnen will. Geübte Besucher des Residenztheaters erkennen das Markenzeichen der Regisseurin Mateja Kole(z)nik und ihres Lieblingsbühnenbildners Raimund Orfeo Voigt.
Nur ausschnitthaft zu sehende Räume prägten in den letzten Jahren bereits Ibsens „Nora“ ebenso wie den „Ödipus“ des Sophokles. Nun haben Koleznik und Voigt zum Abschluss der Saison Molières „Tartuffe“ zubereitet. Ab der übernächsten Spielzeit wird diese gestochen scharfe Handschrift vermutlich fehlen, denn es war Intendant Martin Kusej, der das slowenisch-österreichische Team nach München geholt hatte und gestern seinen Wechsel nach Wien bekannt gab (siehe nebenstehenden Bericht).
An der Rampe erhebt sich ein Massiv aus edler Holztäfelung. Darin spielt sich ein Kompakt-Molière ab, denn es gelang der Regisseurin, das Aufeinandertreffen von Heuchelei und Leichtgläubigkeit in rund 80 Minuten verlustfrei und ohne Hektik zu erzählen. Was weiterhin frühzeitig auffällt: Diese Komödie ist nicht lustig. Kolezniks „Tartuffe“ ist absolut ernst gemeint und nur so komisch, wie es unvermeidbar auf den Betrachter wirkt, wenn kriminelle Energie und eitle Selbstgefälligkeit gegeneinander in Stellung gebracht werden.
Eine illusionslose Inszenierung
Der arme Tartuffe ist zu Gast beim reichen Orgon, der überwältigt ist von der bescheidenen Frömmigkeit seines Schützlings. Gerührt überschreibt er dem Gutmenschen nicht nur sein gesamtes Vermögen, sondern verspricht ihm auch seine Tochter Mariane (Nora Buzalka). Natürlich ist Tartuffe ein Schwindler und Orgon müsste mit seiner umfänglichen Familie das Haus verlassen, würde der König nicht als Rex ex machina den Bösewicht verhaften lassen und die Vermögensübertragung für unwirksam erklären.
Mateja Koleznik inszeniert das völlig illusionslos. Nicht nur das Molièresche Happyend erscheint bei ihr vergiftet, sondern sie hat keine Sympathie für niemanden. Obwohl sie die zudem auch noch bigotte Atmosphäre im Hause – abgesehen von einem großformatig sperrigen Madonnenbild, das bei der Zwangsräumung mühselig abtransportiert wird – weitgehend strich, bleibt der Eindruck einer hochentwickelt scheinheiligen Sippe. Ulrike Willenbacher hat gleich zu Beginn ein furioses Solo als gallig schimpfende Madame Pernelle, der Mutter Orgons.
Sophie von Kessel ist sowohl im eleganten langen Kleid mit dem Schick der 1920er-Jahre als auch bis auf eine Korsage entblättert (Kostüme: Alan Hranitelj) eine schöne Elmire, die Gattin des Hausherrn und verzweifelt lustorientierte Schnapsdrossel. Im Part des adipösen Patriarchen Orgon zeigt Oliver Nägele einen beunruhigend beruhigend auftretenden Tyrannen. Die größte Überraschung ist Philip Dechamps als Tartuffe: Sehr jung und schmal huscht er durchs Anwesen und lässt lange zweifeln, ob er wirklich der Schurke ist, für den manche ihn halten. Erst als seine Pläne perfekt aufzugehen scheinen, überwältigt ihn ein einsames, aber triumphales Kichern.
Residenztheater, wieder am 16. Juli, 19 Uhr, und am 26., 29. Juli, 20 Uhr, Karten unter Telefon 2185 1940