Mitten im Kipppunkt: Das Theaterstück „Countdown mit Beharrungsvermögen“

Der Countdown läuft. Die Kipppunkte rücken näher. Manch einer ist wohl längst erreicht. Und was macht die Menschheit? Lehnt sich zurück, leugnet das Offensichtliche und sieht tatenlos zu, baut vielleicht hie und da einen Damm, wenn das Meer dann doch zu nahe kommt. Beharrungsvermögen nennt man diese Trägheit in der Physik.
Der Autor und Regisseur Christian Kroos bringt nun in seinem Stück „Countdown mit Beharrungsvermögen“ beides zusammen: die tickende Uhr und das Verharren. Im Theater… und so fort hat er sein Stück nun mit Lisa Bales, Conny Krause und Heiko Dietz inszeniert.
Alles geht schief, tut uns leid
Schon bevor es losgeht, lässt er Lisa Bales als Dramaturgin in einem Prolog klarstellen, dass hier im Grunde alles schiefgeht - und dass es ihnen leidtut. Wobei schon hier klar wird, dass dieses „Hier“ nicht nur die Bühne meint, sondern im Grunde die ganze Welt. Doch zurück zum Theater: Das wird wieder mal ein Stück sein, in dem „Sie nichts verstehen werden“, „halt dieses moderne Zeugs“. Außerdem sei das tolle, mehrstöckige Bühnenbild gerade zusammengebrochen und im „Bühnen-Nirvana“. Die Erwartungen werden also gleich zu Beginn auf den Nullpunkt zurückgeschraubt, noch bevor der eigentliche Countdown beginnt.

Von Mensch und Meer bedroht
Und den nun inszeniert Kroos als Mischung aus Lesung und einer Gedankenreise ins „Grande Hotel Excelsior Palais Esplanade“, das von Mensch und Meer bedroht seine letzten Tage erlebt. Während ringsum die Welt untergeht, täuschen sich die letzten Urlauber eine ganz normale Sommerfrische vor. Sie wissen, sie „sollten aufstehen, weggehen, aussteigen, bevor es zu spät ist“. Und doch bleiben sie sitzen. Ist doch gerade so gemütlich, und der Aperol Spritz so lecker. Sie warten und wissen selbst nicht so recht, worauf. Conny Krause und Heiko Dietz sitzen an Lesepulten. Wie in einem riesigen Ringbuch können sie Banner umblättern, auf denen Kommentare zum Geschehen oder atmosphärische Anweisungen wie „Meeresrauschen“ oder „Möwenschreie“ stehen. Ja, es braucht schon Vorstellungsvermögen, sich angesichts des Weltuntergangs in eine Urlaubsatmosphäre zu träumen - und dieses verlangt Kroos seinem Publikum ab.
Banalitäten statt Einsicht und Handeln
Vieles an diesem Abend ist klug, witzig und fasst unsere Lage in wunderbar abstruse Bilder. Da ist das Zimmermädchen, wiederum gespielt von Lisa Bales, das konstatiert: „Die lassen mich nicht mitspielen, aber ich sollte.“ In solchen kurzen Momenten werden die großen Dilemmata der Gegenwart angetippt. Die junge Generation, deren Zukunft auf dem Spiel steht, die aber nicht „mitspielen“ darf, sondern zusehen muss, wie eine Chance nach der anderen vertan wird. Krause und Dietz schlüpfen derweil in verschiedene Rollen, die doch alle eines gemeinsam haben: ihre Lethargie. Sie sind die Urlauber, die sich Fragen wie diese stellen: „War es ein ‚Platsch’ oder war es ein ‚Plitsch’, mit dem die Sandale in der Mayonnaise landete?“ - Auch wenn das wie vieles an diesem Abend nicht geklärt wird, ist eines klar: Während draußen die Klimakatastrophe näher rückt, beschäftigen wir uns mit Banalitäten. Wie wahr. Dennoch zieht sich der Abend hie und da etwas. Liegt vielleicht am Wesen der Trägheit.
immer Fr, Sa, So bis Anfang November, 20 Uhr, 24, 17 Euro, Hinterbärenbadstr. 2 (beim Partnachplatz), www.undsofort.de