Mit der "Götterdämmerung" schließt sich der "Ring des Nibelungen"

Mythenmetzgers Wurstplatte: Kirill Petrenko dirigiert die "Götterdämmerung" im Bayreuther Festspielhaus
Christa Sigg |
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Einfach toll, wie er das inszeniert. Und das Bayreuth-Publikum spielt immer wieder mit. Frank Castorf muss sich in seiner minimalistisch ausgefuchsten Steh-Choreografie einfach nur vor dem Vorhang zeigen, und schon dröhnen ihm die herrlichsten Buh-Chöre entgegen.

Der Mythenmetzger genießt das wie eine Ganzkörpermassage. Jetzt bloß keine Miene verziehen, locker bleiben neben den Regie-Leuten, dann wird’s in der Melange mit dem mächtig anschwellenden Applaus ganz großes Musiktheater.

Also das, was bei offenem Vorhang leider nicht stattgefunden hat. Diese gute Viertelstunde ist jedenfalls unterhaltsamer, als sämtliche vollkommen überfrachteten „Götterdämmerungs“-Szenen. Da musste sich einer eben ganz anders als gewohnt austoben, und das mit Überdruck.

Plaste und Elaste

Denn just in Bayreuth darf keine Silbe, kein einziges Hoi-ho gekappt werden. Daher wird in diesem Best-of-Volksbühne-Berlin mit Bildern nur so geballert. „Plaste & Elaste“, wie es auf knallig blinkendem Schriftzug über der Gibichungenhalle zu lesen ist, sind eh für alles zu gebrauchen, die böse New Yorker Börse kommt immer gut, und in einer Dönerbude kann auch Faktotum Patric Seibert wieder voll Ketchup-blutiger Lust im Kartoffelsalat mantschen.

Das „Ring“-Personal nimmt’s gelassen, von den matroschkahaft kreisenden Voodoo-Nornen (Anna Lapkovskaja, Claudia Mahnke, Christiane Kohl) bis zum einsatzfreudigen Erotik-Trio der Rheintöchter (Mirella Hagen, Julia Rutigliano und Anna Lapkovskaja). Überhaupt wird in diesem ständigen Auf und Ab und Hin und Her ziemlich konzentriert gesungen.

Alison Oakes ist eine attraktive Gutrune, die sich erst um ihr mattes, indisponiert klingendes Bruderherz Gunther (Alejandro Marco-Buhrmester) windet, um dann doch schnell auf den für sie bestimmten Superhelden abzufahren. Der gar nicht so niederträchtig tönende Hagen zieht hier gekonnt die verhängnisvollen Strippen. Stephen Millings Bass wärmt anfangs wie ein behagliches Kaminfeuer, und man meint, einen abtrünnigen Bruder Sarastros zu hören. Aber spätestens beim Aufmarsch seiner Mannen – exakt fokussierte Testosteron-Ballungen fürs Ohr – geht dieser Hüne auch stimmlich in den kalten Kohlenkeller.

Der tiefer gelegte Siegfried

Alberich Albert Dohmen stachelt ihn ja perfide an in dieser alles beherrschenden Gier nach dem Ring. Dass Brünnhilde den Reif partout nicht ihrer Schwester überlassen will, versteht man nur zu gut. Schön für den Steuerzahler, wenn Fahrtkosten gespart werden, aber Claudia Mahnke ist mit der Fricka völlig ausgelastet und entwickelt als eher nervige Waltraute sowieso keine besondere Passion für Papa Wotans Mission impossible.

Auch das geht vorüber, der tiefergelegte Siegfried ist schon als Gunther im Anmarsch. Und hier wird deutlich, wie sehr der sonst so einnehmende Stefan Vinke im baritonalen Souterrain fremdelt. Sobald er nach oben klettern darf, fühlt er sich vernehmbar wohler, und die lyrischen Momente sind dann auch seine besten – dieser Siegfried hätte gerne noch ein paar Takte länger sterben dürfen. Seiner wohltönenden Brünnhilde setzen diesmal die Tücken der bis zum Drehwurm rotierenden Bühne zu. Ihr Sopran ändert sich je nach Position, und vermutlich bräuchte Catherine Foster einfach mehr Ruhe, um ihren bronzenen Stimmglanz ganz auszubreiten.

Bis ins letzte Detail geformt

Erstaunlich, dass Perfektionist Kirill Petrenko da mitspielt. Allerdings kommt es seinem Konzept der Durchhörbarkeit auch entgegen, wenn oben kein allzu großes Gegengewicht zum Graben entsteht. Dann kann er seine bis ins allerletzte Detail geformten Klangvisionen realisieren. Vom leise atmenden Es-Dur-Akkord im „Rheingold“ bis zum brennenden Ende der „Götterdämmerung“.

Im dritten Jahr weiß er um die Verlässlichkeit seiner Hügel-Musiker, und der alles kontrollierende Noch-GMD der Bayerischen Staatsoper kann endlich etwas mehr loslassen, die eigene Musik genießen. Einen letzten Sommer lang. So wie sein wehmutdurchwühltes Publikum. Schade, dass Petrenko in Bayreuth nicht weitermacht. Einerseits. Andererseits darf es nach diesem hochintensiven Molekularküchenzauber auch wieder ein klassisches Gourmetmenü sein. Wagner-Veteran Marek Janowski wird sicher keine fränkische Wurstplatte auftischen.

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