Mireille Mathieu kommt im April ins Deutsche Theater nach München

München - Das Interview findet in ihrem Lieblingshotel, dem Pariser Le Bristol statt, in Sichtweise des Élysée-Palasts. Spontan wechselt Mireille Mathieu in ihren Antworten vom Deutschen ins Französische und zurück. Die Sängerin ist als "Spatz von Avignon" populär geworden. Ihre Europatournee führt sie am 30. April auch nach München.
Die heute 71-jährige Französin hat rund 190 Millionen Tonträger verkauft. 1964 gewann sie in ihrer Heimatstadt Avignon mit "La vie en rose" den Gesangswettbewerb "On chante dans mon quartier". Aufgrund dieses Sieges erhielt sie eine Einladung zum Vorsingen für die Fernsehshow "Télé-Dimanche": der Beginn einer langen Karriere.
AZ: Madame Mathieu, wer wird in diesem Jahr Fußballweltmeister?
Mireille Mathieu: Frankreich! Zumindest hoffe ich das sehr. Wir haben ein außergewöhnlich gutes Team. Das sind echte Champions.
Sie mögen Fußball?
Aber ja, sehr sogar. Ich singe jedes Mal vor dem Fernseher die Hymne mit.
Ihr aktuelles Album heißt "Made In France". Was mögen Sie – abgesehen von Les Bleus – besonders an ihrem Heimatland?
Eigentlich alles. Natürlich gibt es Sachen, die mich stören, zum Beispiel, dass Menschen so arm sind, dass sie nicht genug zu essen haben. Das ist in einem reichen Land ein Skandal.
Sie sind selbst in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, wurden als ältestes von 14 Kindern in einer Hütte ohne jeglichen Komfort groß. Ist Luxus heute für Sie normal?
Natürlich habe ich mich daran gewöhnt. Und wenn ich reise, bin ich oft in sehr guten Hotels. Trotzdem bin ich nicht abgestumpft oder gar gleichgültig. Ich weiß noch, wie ich vor vielen Jahren zu Zeiten der DDR im Friedrichsstadtpalast in Ost-Berlin zu Gast war. Vor meinem Konzert traf ich vor der Halle auf einen jungen, sehr kranken und armen Mann, der mich unbedingt singen sehen wollte. Mein Manager nahm ihn mit in die Halle, wir alle dachten, er würde bald sterben. Doch er ist nicht gestorben. Er lebt immer noch. Oder neulich erst, als ich mit meiner Schwester aus einer Bäckerei kam, saß dort ein junger Bettler. Wir gingen noch einmal zurück in die Bäckerei und kauften ihm ein Sandwich.
Sie gehen selbst zum Bäcker?
Ja. Mein Bruder, der in der Nähe von Avignon wohnt, ist Bäcker und Konditor. Er backt wunderbare Spezialitäten, zum Beispiel Brot mit Käse und Feigen. Es gibt auch Bauern, die ihr eigenes Olivenöl zu ihm bringen. Damit backt er dann Brot – nur für sie.
Wie haben Sie Weihnachten verbracht?
In der Provence, zusammen mit meinen Geschwistern. Wir waren in der Kirche, zur Messe hatten wir Blumen mitgebracht, da sich die Gemeinde keinen eigenen Blumenschmuck leisten kann. Ich habe Weihnachtslieder gesungen, Klassiker wie "Stille Nacht" – aber natürlich auf Französisch. Anschließend haben wir alle im Haus meiner Mutter, die vor einem Dreivierteljahr mit 94 Jahren gestorben ist, zu Abend gegessen. Wir haben eine Krippe, und an Heiligabend gibt es dreizehn Nachspeisen. Der liebe Gott sagt, "Das Herz einer Mutter ist ein Schatz, den es nur einmal gibt". Wir Kinder waren da, als Maman starb.
Haben Sie alle dreizehn Nachspeisen probiert?
Man muss nicht alle dreizehn essen. Aber es hat symbolischen Wert. Die Geburt Jesus Christus wird mit den Nachspeisen gefeiert.
Sind Sie gläubig?
Ja.
Der Papst, Wladimir Putin, Queen Elisabeth – die Liste der Staats- und Würdenträger, auf deren Einladung Sie gesungen haben, ist lang und schillernd. Fühlen Sie sich wohl als Ikone?
Ach, Ikone, ich weiß nicht. Der Papst wird gewählt, englische Queen wird schon als Thronfolgerin geboren. Bei mir ist es anders: Ich existiere nur durch und dank meines Publikums. Die Menschen bringen mir so viel Freundlichkeit und Liebe entgegen. Ich habe Fans, die mir durch die ganze Welt nachreisen, wenn ich auf Tournee bin.
Machen die Fans Sie glücklich?
Oh ja, überglücklich. Einige sind längst zu guten Bekannten geworden. So wie die junge Frau Lucy, die sehr früh ein Kind bekommen hat. Ich habe ihr etwas was für das Baby geschenkt, sie kam jetzt mit ihrem Mann zur Show, man fragt dann natürlich, wie es geht und was die Familie macht. Was mich besonders berührt: Viele Fans verwöhnen mich richtig und bringen mir kleine Geschenke mit.
Was denn so?
Blumen, kleine Schildkröten...
Kleine Schildkröten?
Ja, ich sammele Schildkröten aus Glas, Holz oder Porzellan.
Warum Schildkröten?
Ich mag die Schildkröte, seit ich die Fabel von Jean de La Fontaine las, "Der Hase und die Schildkröte". Die beiden machen ein Rennen. Die Schildkröte ist langsam, doch kommt sie sicher ans Ziel und gewinnt sogar.
Auch Sie sind ausdauernd. Sie nahmen 1964 an einem Gesangswettbewerb in Avignon teil, wurden 1965 in einer TV-Show entdeckt und galten als die neue Piaf. In Deutschland sind Sie seit den frühen 70ern ein Star, wie in Russland oder sogar China.
Wie schafft man es, sich fünfzig Jahre an der Spitze zu halten?
Ich war immer fleißig, ja, sehr fleißig sogar. Aber ich war 1965 einfach zur idealen Zeit am richtigen Ort. Vor allem auf Tournee bin ich sehr diszipliniert. Ich brauche meine neun bis zehn Stunden Schlaf, mache täglich Stimmübungen.
Und wenn Sie nicht auf Tournee sind?
Dann bin ich lockerer, Aber richtig frei habe ich selten. Ich überlege gerade, welche Lieder ich in den jeweiligen Ländern singe.
Sie singen stets in der Landessprache, sogar ein bisschen in Finnisch oder Japanisch...
Ich mache das gern, die Menschen mögen es und finden es berührend. In der Schule war ich die Schlechteste. Ich saß ganz hinten, habe eine Klasse wiederholt und bin mit 15 von der Schule gegangen, um in einer Fabrik zu arbeiten. Lesen und schreiben waren nie meine Stärken, aber das Singen, das habe ich immer geliebt.
Welche Sprache ist die schönste?
Die meisten Menschen denken, dass man in keiner Sprache besser über die Liebe singen kann als Französisch. Aber auf Deutsch finde ich Liebeslieder genauso wundervoll.
Obwohl Sie seit Jahrzehnten eine Berühmtheit sind, weiß man wenig über Sie.
So mag ich es. Ich behalte meine kleinen und großen Geheimnisse für mich.
Hatten Sie eigentlich nie den Wunsch auszubrechen, etwas ganz anderes zu machen?
Nein, niemals. Ich brauche auch nicht viel Urlaub. Meine Schwester Matite und ich, wir fahren einmal im Jahr nach Biarritz und machen dort eine Thalasso-Therapie. Das Meerwasser und die Luft dort tun mir sehr gut. Normalerweise gehe ich nicht viel spazieren, aber in Biarritz schon. Und anschließend fahren wir fast immer nach Lourdes.
Sie leben mit ihrer Schwester auch zusammen. Kochen Sie?
Das macht meine Schwester. Ich helfe. Als Kind habe ich meiner Maman schon viel in der Küche geholfen, ich habe oft das Geschirr gespült. Kochen war nie meine Spezialität. Diejenige meiner Schwestern, die bis zum Schluss bei meiner Mutter gelebt hat, die kann am besten von uns allen kochen. Sie hat Maman versorgt, als sie wegen der Arthrose Hilfe brauchte. Meine Mutter hat, so lange es ging, die Karotten geschält. Und stets hat sie beim Kochen gesungen.
Haben Sie ihre Stimme von der Mutter?
Eher vom Vater. Er war Steinmetz und hatte eine kräftige Tenorstimme. Meine Mutter war ein Arbeitstier, von ihr habe ich die Unermüdlichkeit.
Zu ihren liebsten Liedern gehört "Non, Je Ne Regrette Rien".
Ja, dieses große Lied ist mein Credo. Ich würde alles noch einmal so machen, auch wenn es immer Höhen und Tiefen gibt und nicht alles gelingt. Aber das wäre auch nicht realistisch.
Wie haben Sie sich verändert im Laufe der Jahrzehnte?
Gar nicht so sehr. Mein Manager und meine Gesangslehrerin Janine Reiss, die auch die Lehrerin von Maria Callas war, haben mir zu Anfang sehr viel beigebracht und mir Selbstvertrauen gegeben. Ich habe zu dieser Zeit wirklich 24 Stunden am Tag geackert. Heute bin ich reifer. Doch je mehr ich mich entwickelte, desto mehr Lampenfieber bekam ich.
Das geht also nie weg?
Bei mir nicht. Drei bis vier Stunden vor jedem Auftritt geht die Nervosität los.
Ihre Kleidung, die Frisur – das ist seit 50 Jahren praktisch unverändert. Kolleginnen wie Madonna oder Lady Gaga kommen alle paar Jahre mit neuem Image daher. Wollten Sie nie eine Veränderung?
Wozu denn? Lady Gaga ist fantastisch, wir haben uns in Paris bei der Aufzeichnung zu einer TV-Show kennengelernt. Was sie macht, ist großartig. Aber ich mochte mein Image und meinen Look immer. Ich bin authentisch.
Wir sitzen hier gegenüber vom Élysée-Palast. Wie finden Sie Emmanuel Macron?
Nun, er ist mein Präsident. Ich respektiere ihn, die Franzosen haben ihn gewählt. Es ist nicht leicht für ihn. Er hat noch einiges an Altlasten abzuarbeiten.
Im April werden Sie wieder im Friedrichstadtpalast singen, dem Ort ihres ersten Deutschlandkonzerts. Sie waren im Osten wie im Westen Deutschlands gleichermaßen populär, oder?
Ich kann mich noch erinnern, wie ich meine erste Single in Deutschland in einem Studio direkt neben dieser schrecklichen Mauer aufnahm. Ich habe immer daran geglaubt, dass Deutschland wieder zusammenfindet. Für mich hat es die Teilung Deutschlands nie gegeben, und als die Mauer fiel, war das ein großer Tag für mich.
Werden Sie ihr Leben lang weitersingen?
Ich singe so lange, wie der liebe Gott es will.
Auf ihrer Tournee 2018 ist Mireille Mathieu am Montag, 30. April, 20 Uhr, im Deutschen Theater in München, Karten: 75 – 101 Euro, 089 54 81 81 81