"Mensch Meier" von Franz Xaver Kroetz - die AZ-Kritik

Ein schön menschelnder Theaterabend: David Bösch inszeniert "Mensch Meier" von Franz Xaver Kroetz im Marstall
Michael Stadler |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Norman Hacker (Otto) und Katharina Pichler (Martha) spielen nicht nur ein Paar auf der Bühne – sie sind es auch im wirklichen Leben.
Dashuber Norman Hacker (Otto) und Katharina Pichler (Martha) spielen nicht nur ein Paar auf der Bühne – sie sind es auch im wirklichen Leben.

Ein schön menschelnder Theaterabend: David Bösch inszeniert "Mensch Meier" von Franz Xaver Kroetz im Marstall

Um eine Brücke vom Damals ins Heute zu schlagen, bedarf es keiner bemühten Textmodernisierungen, kein Ummünzen von D-Mark in Euro oder ein Bühneninterieur mit Requisiten neueren Datums. Es reicht schon ein alter Wecker aus, auf dem ein Darth-Vader-Helm als Druckknopf sitzt. Wenn dieser Wecker auf der Bühne des Marstalls seine Pflicht erfüllt, dann ist die „Star-Wars“-Melodie zu hören, jener Marsch, der gerade in den Kinos erschallt, aber schon 1978 bei der ersten Folge erklang, just im selben Jahr, als „Mensch Meier“ von Franz Xaver Kroetz uraufgeführt wurde.

Kroetzens dramatische Posse nimmt sich den Spießbürger in Zeiten prekärer Arbeitsverhältnisse vor, und prekär sind die Jobs heute ebenfalls, da braucht man gar nicht weiter am Stück herum zu werkeln. Vielmehr taucht David Bösch in seiner Inszenierung zeichenbetont in die alte BRD ein: Hier isst der Sohn Cornflakes, dort flimmert der alte Fernseher, und es ist ja letztlich egal, auf was für eine Art von Bildschirm man starrt, um die innere Leere zu füllen. Auf der Soundspur ertönen dazu die alten Showmelodien, „Dalli Dalli“ oder „Was bin ich?“, wobei letztere Frage gerade Vater Otto plagt.

Er ist ein armes Schweinderl, arbeitet brav in einer Autofabrik, wo eine immer bedrohlicher werdende Zahl von Angestellten entlassen wird. Die Mühlen des Kapitalismus bewässert Otto selbst, indem er Arbeitsfelder der gerade Entlassenen ohne Widerrede übernimmt. Ein Kleinkrämer ist er, rechnet gerne nach. Norman Hacker gibt ihm die richtige humoristische, dialektgefärbte Note, ohne diese Figur mit ihren Träumen zu verraten, was auch Kroetz nicht tut.

Stattdessen haben Otto und seine Frau Martha bei aller Biederkeit etwas Herzerwärmendes. Allein die Küsschen, die Norman Hacker mit Katharina Pichler austauschen – beide sind auch privat ein Paar – erzählen einerseits von einer in Ritualen erstarrten Ehe, andererseits von einer Vertrautheit, für die es schon Jahre braucht.

Auf der Suche nach Anerkennung

In seiner Bastelecke träumt Otto Meier von einer Karriere als Modellsegelflieger und etwas Anerkennung, derweil die realen Hoffnungen auf Sohnemann Ludwig ruhen. Der soll nicht in die Arbeiter-Fußstapfen des Vaters treten, sondern höhere Ziele, zum Beispiel Zahntechniker, anstreben. Der Spross wehrt sich gegen diesen elterlichen Ehrgeiz mit viel Schlaf im herunterklappbaren Schrankbett. Er lässt sich nicht vom Darth-Vader-Wecker, der dunklen Macht des Vaters, wecken, sondern reagiert alarmiert auf Staubsauger- und TV-Geräusche: den Alltagssoundtrack der Hausfrau.

Trotz aller Probleme hat das Rumgemeiere zunächst etwas Beschauliches. Das Trio Vater-Mutter-Sohn hangelt sich von Episode zu Episode, in einem die Breite des Marstalls nutzenden Bühnenbild, das die kleinbürgerlichen Räume des Stücks auf einen weitschweifigen Blick vereint. Wie ein riesiges TV-Serien-Set sieht das aus, und es ist ganz wunderbar, wie Bösch die Szenenübergänge inszeniert: Selten braucht er ein Black, sondern spielt mit den Möglichkeiten von Vorder- und Hintergrund, lässt die Figuren von einem Raum in den nächsten wandeln, nutzt Lichtwechsel (Gerrit Jurda) effektiv.

Die Aggressivität und Enttäuschung, die finanzielle Lebensangst, entlädt sich, als Ludwig fünfzig Mark aus dem Portemonnaie klaut, weshalb die Eltern an der Kasse im Supermarkt ganz schön blöd ausschauen. Dann demontiert Papa Otto seinen Sohn aufs Übelste und zerlegt kurz darauf die monströse Schrankwand, welche die Bühne hinten begrenzt.

Ein Loch reißt Norman Hacker ins Biotop, rissig wird die Bühne der Bürger, auf der sich nun das Melodram des verlassenen Ehemanns und Vaters abspielt. Aber es bleibt rührend: Mutter Martha, der Katharina Pichler unheimlichen Pragmatismus, gepaart mit nicht zu erschütterndem (Über)Lebensmut gibt, zieht aus, aber streicht Otto bald doch, wie im Traum, über die seitengescheitelten Haare. Bis beide wieder im Bett landen.

Aber hat Martha einen Liebhaber? Otto glaubt’s und kämpft im Rahmen seiner Möglichkeiten. Er bleibt aber ein Rohrkrepierer am Rande der Impotenz, während der Sohn seinen eigenen Weg geht. In der großgewachsenen Gestalt von Marcel Heuperman ist Ludwig ein Mann im Kinde, peinlich von den Eltern berührt, aber immerhin berührt. Wenn der Sohn gegen Ende seinen Vater in die Knie zwingt, ist man für einen Moment noch mal beim neuen „Star-Wars“-Film, bei der Umkehrung der Machtverhältnisse: Die Kids sind stark. Den schwachen Vätern bleibt der Tod oder die Einsamkeit. Und die Glotze. Was melancholisch stimmt zum Ausgang eines schön menschelnden Theaterabends.

Marstall, wieder 22. 1., 13., 23., 27. 2., , 20 Uhr, Telefon 2185 1940

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.