Interview

Mathias Spahn: "Wenn die Oma stirbt, kommt sofort der Typ mit dem Wagen"

Der Regisseur bringt Max Porters Roman "Trauer ist das Ding mit Federn" auf die Bühne des Volkstheaters.
von  Anne Fritsch
Ruth Bohsung und Cedric Stern in „Trauer ist das Ding mit Flügeln“.
Ruth Bohsung und Cedric Stern in „Trauer ist das Ding mit Flügeln“. © Arno Declair

Der Regisseur Mathias Spaan hat am Volkstheater zuletzt "Der zerbrochne Krug" von Heinrich von Kleist inszeniert. Nun bringt er dort Max Porters Roman "Trauer ist das Ding mit Federn" auf die Bühne. Porter erzählt von einer Krähe, die sich nach dem Tod der Mutter bei der Restfamilie einnistet, um sie in ihrer Trauer zu begleiten.

AZ: Herr Spaan, Sie inszenieren gerade eine Romanbearbeitung am Volkstheater: "Trauer ist das Ding mit Federn" von Max Porter. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
MATHIAS SPAAN: Das war vor allem eine Themenwahl. Ich hab irgendwann von dem Roman gehört, ihn gelesen und fand das Thema so bestechend.

Der Roman erzählt sehr verdichtet von der Trauerarbeit einer Familie: von einem Vater und seinen zwei Kindern, deren Mutter gestorben ist.
Der Umgang mit so einem Verlust und der Trauer ist kein Thema, das ich oft im Theater sehe. Wenn ich Leuten erzähle, dass ich dieses Buch auf die Bühne bringe, hat das immer zur Folge, dass wir uns länger unterhalten: gar nicht über das Buch im Speziellen, sondern über Trauerarbeit im Allgemeinen. Das betrifft einfach jeden. Wahrscheinlich ist das von Familie zu Familie unterschiedlich, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass sehr wenig über die Trauer geredet wird und vielleicht auch sehr wenig ehrlich darüber geredet wird.

„Trauer ist das Ding mit Federn“ nach dem Roman von Max Porter im Volkstheater
„Trauer ist das Ding mit Federn“ nach dem Roman von Max Porter im Volkstheater © Arno Declair

Im Roman taucht eine Krähe auf, die die Restfamilie durch ihren Schmerz begleitet. Wer ist diese Krähe in Ihren Augen?
Sie ist eigentlich alles, was man sich nicht erlaubt. Sie ist ein Freund oder auch ein Therapeut, aber sie ist auch unangenehm, weil sie einen mit den Sachen konfrontiert. Sie bringt eine riesige Unruhe rein, nimmt kein Blatt vor den Mund und spricht Gedanken aus, die die Figuren sich selbst nicht eingestehen wollen. Sie kann irgendwie alles sein.

Intelligente und brutale Tiere

Sie ist auch unheimlich.
Ja, klar. Es gibt ganz viele Geschichten, in denen Krähen etwas Mystisches zwischen Tod und Leben verkörpern. In vielen Grimm-Märchen verwandeln sich Leute in Krähen, oft sind sie auch ein Kontakt zwischen Lebenden und Toten. Das sind sehr intelligente Tiere, aber auch brutal - und ich glaube, dass der Autor Max Porter genau nach so etwas gesucht hat in seinem Text.

„Trauer ist das Ding mit Federn“ nach dem Roman von Max Porter im Volkstheater
„Trauer ist das Ding mit Federn“ nach dem Roman von Max Porter im Volkstheater © Arno Declair

Mit einem kuscheligen Hamster würde das nicht funktionieren.
Nein. Diese Krähe kann sich schon mit einem an den Tisch setzen, aber sie kann auch wirklich reinhacken und brechen und knacken. Die will nichts richtig machen, es ist ihr egal, wie sie wirkt.

In Ihrer Inszenierung wird es nicht eine Krähe geben wie im Buch, sondern gleich sechs Krähen, doppelt so viele wie trauernde Personen. Warum?
Der Grundgedanke war: Die Krähe ist überall. Die Krähe kann alles sein. Die Krähe ist in jeder Ritze, in jedem Raum, unter jeder Bettdecke. Die kommt überall raus. Die ist nie weg. Sie bricht ein und sie ist zu viel. Und wenn sie weg ist, ist die Leere umso größer. Indem es sechs Krähen sind, geht es auch weniger um das Individuum als um den Zustand.

Und auch die Trauer ist für jeden anders. Manchmal ist es irgendeine Sache oder ein Geruch, der einen an die Person erinnert, die gestorben ist.
Ich hatte das mal beim Postkartenschreiben im Urlaub. Ich bin in den Laden gegangen, habe Postkarten gekauft - und erst beim Schreiben ist mir aufgefallen, dass ich an diese eine Person jetzt gar nicht mehr schreiben kann. Das kam erst so versetzt. Das sind sowieso die fiesesten Momente, die man nicht voraussehen kann. Und das ist eben ein Thema, das uns alle betrifft. Drum hat es mich so gereizt, das auf die Bühne zu bringen.

Angst, nach Trauerfällen zu fragen

Weil es zwar ein Thema ist, das alle betrifft, das aber gleichzeitig sehr stark verdrängt wird?
Wir reden nicht über den Tod. Das ist kein populäres Thema.

Anders als andere Kulturen haben wir auch wenig Rituale, um uns zu verabschieden. Wir sitzen nicht bei den Toten, nehmen uns nicht so viel Zeit.
Wir sind unglaublich damit beschäftigt, den Tod zu verstecken in unserer Gesellschaft. Im Krankenhaus sind die Räume für die Toten immer irgendwo ganz unten. Wenn die Oma stirbt, dann setzen wir uns meist nicht dahin, dann kommt sofort der Typ mit dem Wagen und holt sie ab. Also genau was Sie sagen, wir haben überhaupt gar keine Zeit dafür.

© Arno Declair

Und das, obwohl kein Mensch sein Leben leben kann, ohne mit Verlust und Trauer konfrontiert zu werden.
Ich hatte auch einen Trauerfall in meiner Familie, und die Leute haben unglaubliche Angst, mich danach zu fragen. Und ich verstehe das auch. Zuerst melden sich viele, aber nach ein paar Wochen oder von mir aus auch Jahren fragen sehr wenige Leute, wie geht es dir eigentlich damit? Da ist eine große Scheu, jemandem zu nahe zu treten. Aber ich habe noch nie erlebt, dass jemand nicht darüber reden wollte, wenn ich gefragt habe.

Gemein, bösartig, individuell und manchmal auch fröhlich

Die Krähe füllt diese Lücke, sie zwingt die Familie, sich mit ihr und ihrer Trauer zu beschäftigen.
Genau. Keiner hat sie eingeladen, sie ist einfach da und bleibt. Und sie ist wie die Trauer: gemein, bösartig, individuell und auch mal fröhlich. Auch wenn man trauert, passieren schließlich auch andere Dinge. Wir haben uns im Probenprozess ganz viele Geschichten erzählt. Es gibt in der Trauer auch verbotene Gefühle und eine Überforderung, was man fühlen darf. Was ist mit Sexualität zum Beispiel? Wie geht man damit um? Wir haben ein sehr einseitiges Bild von Trauer und davon, wie man nach einem Verlust zu sein hat.

© Arno Declair

Auch wenn es im Roman keinen klassischen Spannungsbogen gibt, hat er einen klaren Schluss: Die Krähe beschließt, dass sie lange genug da war, und verabschiedet sich.
Am Ende sagt der Vater zu den Kindern: "Wollen wir nach vorne schauen?" Und das finde ich einen echt großen Moment. Da ist auf einmal die Entschlossenheit, wieder ins Leben zu gehen und eigenständig zu werden.


Volkstheater, Premiere am 21. November, 19.30 Uhr (Restkarten unter Telefon 089/5234655)

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