Mathias Spaan über "Der zerbrochne Krug" im Volkstheater
München - Warum ging der Krug von Frau Marthe zu Bruch? Welche dunkle Gestalt floh aus dem Zimmer von Rulls Tochter Eve? Und wo ist die Perücke des machtlüsternen Richters? Der Regisseur Mathias Spaan sieht in Heinrich von Kleists Lustspiel "Der zerbrochne Krug" einige Parallelen zur Gegenwart, die allerdings gar nicht so witzig sind. Premiere ist heute im Volkstheater.
AZ: Herr Spaan, "Der zerbrochne Krug" ist nicht so angesagt zur Zeit an den Theatern, oder?
Mathias Spaan: Das Stück taucht schon immer mal wieder auf den Spielplänen auf. In Berlin läuft es am Deutschen Theater und in Wien am Theater in der Josefstadt. Ob es jetzt en vogue ist, sei mal dahingestellt.
Wie sind Sie auf dieses Stück gekommen?
Das war so ein Ping-Pong zwischen dem Theater und mir, wir haben ein Stück für die große Bühne gesucht, einen größeren Stoff. Letztes Jahr habe ich den Roman "8 1/2 Millionen" inszeniert, das war sehr nischig - und ein absolutes Herzensprojekt von mir. Drum hat es mich total gefreut, dass das gut ankam, weil damals viele Theater gesagt hatten, das machen wir nicht, das zieht nicht. Für mich ist das der Beweis, dass man ruhig was wagen darf. Die Leute kommen schon, wenn sich rumspricht, dass etwas gut ist. Aber diesmal haben wir eben einen größeren Titel gesucht.

Warum wurde es der "Zerbrochne Krug"?
Wir haben da eine Person in einer Machtposition, den Richter, der von Anfang an klar schuldig ist. Trotzdem versucht er, sich rauszuwinden aus seiner Verantwortung - und kommt damit tatsächlich durch. Das springt einen natürlich gleich an, wie aktuell das ist. Gleichzeitig ist dieses Stück eine Rekonstruktion der Wahrheit: Die verschiedenen Leute erzählen alle die Geschehnisse derselben Nacht, aus unterschiedlichen Perspektiven. Das finde ich spannend.
Diese Konstruktion von Wirklichkeit scheint Ihr Thema zu sein, da gibt es schon Parallelen zu "8 1/2 Millionen", wo sich der Protagonist die Wirklichkeit nach seinen Vorstellungen gestalten will.
Ja, das ist so ein bisschen mein Thema. Beim "Krug" fand ich die Handlung relevant und gleichzeitig diesen Akt des Konstruierens spannend. Da kamen also zwei Interessen von mir zusammen.
In Heinrich von Kleists Stück haben einige Leute eine sehr klare Vorstellung davon, was die Wahrheit ist. Verschiedene Varianten der Geschichte prallen auf einander, Meinungen werden vorgebracht wie Tatsachen. Alternative Fakten, wenn man so will.
Genau. Und mich interessiert auch, was am Ende von all dem übrig bleibt. Darum gibt es eine Art Fernsehstudio, wo quasi in unserer Gegenwart eine Dokumentation über den alten Prozess gedreht wird, in der die Beteiligten nochmal zu Wort kommen. Wir schauen uns also auch an, wie der Fall im Nachhinein in den Medien aufgerollt wird, welche alternativen Wahrheiten bleiben, weil Leute eben Geschichten erzählen.

Wir sitzen hier auf der Probebühne und vor uns steht ein Modell der Drehbühne von Anna Armann. Da gibt es verschiedene Räume, die Kammer vom Richter, den Tatort, den Gerichtssaal und das Fernsehstudio. Folgen Sie der Chronologie der Ereignisse?
Wir springen hin und her, in Ort und Zeit, gehen mal zurück an den Tatort, dann wieder in den Gerichtssaal. Wir reisen da ein bisschen durch die Zeiten, sind ständig in Bewegung, blicken von heute auf die alte Geschichte: Was für ein Druck liegt noch immer auf dem Opfer? Wie haben sich die Täter aus der Affäre gezogen? Wie schützen die sich gegenseitig? Schachern Sie sich noch wichtigere Ämter zu? Profitieren sie sogar von ihren Verbrechen?
Das klingt beinahe wie ein Politdrama.
Ja, kann man so sehen.

Dabei kommt dieser Richter bei Kleist erstmal daher wie eine trottelige Witzfigur. Und Sie arbeiten jetzt die Gefährlichkeit eines Trumps oder Höckes dahinter heraus?
Der Text ist so stark drauf geschrieben, dass der Richter der Trottel ist. Und natürlich steckt da Humor drin, wie er sich immer wieder rausredet aus den Sachen. Ich kann jetzt nicht behaupten, dass das ein einziger Politthriller ist. Trotzdem suche ich nicht explizit die Komödie da drin. Das Stück lässt einiges in der Schwebe, aber es ist implizit auch die Rede von einem sexuellen Übergriff. Der Richter war bei Eve in der Kammer, da sind einige Wortspiele, die auf Missbrauch hindeuten.
Und was zählt dann: die Wahrheit oder die besseren Anwälte?
Da klingt viel an. Ich habe auch ein paar Statements von Anwälten mit reingenommen. Aber ich wollte das Stück nicht auf Teufel komm raus in die Moderne schicken, ich sehe es eher als Metapher. Ich begebe mich wieder in diese Geschichte von vor 400 Jahren, und gleichzeitig ist sie für mich ein Abbild für die Gegenwart.
Sie inszenieren relativ häufig Klassiker. Was reizt Sie daran?
Manchmal bin ich selber überrascht davon. Das Schöne an solchen Texten ist, dass man die ein bisschen aufbrechen und immer wieder was Neues drin finden kann. Außerdem sind die natürlich auch einfach gut. Aber nächstes Jahr darf ich wieder ans Volkstheater kommen - und da mache ich dann eher keinen Klassiker.
Premiere am 16. Mai um 19.30 Uhr auf der Bühne 1. Weitere Vorstellungen am 17. und 21. Mai sowie am 9., 10., 17. und 29. Juni sowie im Juli. Karten unter muenchner-volkstheater.de
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