Markus Söder stichelt bei Opernfestspielen: "Beim nächsten Mal die mächtigste Frau der Welt“
Die beste und bis heute gültigste Beschreibung der Münchner Opernfestspiele ist wohl 70 Jahre alt und stammt vom Musikkritiker Walter Panofsky: Er sprach von einem "Sommerschlussverkauf zu erhöhten Preisen“, um die verdichtete Wiederholung von Repertoire-Höhepunkten am Ende der Saison zu charakterisieren. Erfunden wurde das alles vor 150 Jahren. Und das ist – in Ermangelung hochtrabender Ideen, wie sie die Festspiele von Bayreuth oder Salzburg zumindest theoretisch kultivieren – ziemlich schwer zu feiern.
Die Münchner Opernfestspiele wollten nie den Menschen bessernd verändern wie Richard Wagner durch seine "Feuerkur“ durch das Erlebnis des "Ring des Nibelungen“ oder durch das Bühnenweihfestspiel "Parsifal“. Und auch eine Renaissance der Barockzeit, wie Hugo von Hofmannsthal in seinen Salzburger Programmschriften propagierte, war nie die Absicht. Wagner, Mozart und später Richard Strauss standen lange im Zentrum, heute werden die Premieren der vergangenen Spielzeit möglichst in Originalbesetzung wiederholt. Außerdem gibt es zwei Premieren, deren zweite nach wenigen Aufführungen mysteriöserweise für immer verschwindet. Und Liederabende.
Das braucht eigentlich keine Verbrämung. Serge Dorny, seit 2021 Intendant der Staatsoper und noch nicht durch mehrere Jahrzehnte Opernfestspiele pragmatisch abgebrüht – beschwor mit Paul Valéry idealistisch den nicht nur bewahrenden, sondern auch verwandelnden Wert von Traditionen. Bayerns Kunstminister Markus Blume betonte eher die Liebe des örtlichen Publikums und den Spaßfaktor der Festspiele mit "Oper für alle“ und der Stufenbar auf den Treppen des Nationaltheaters. Außerdem, und das wisse er aus eigener Erfahrung, habe das Nationaltheater im Vergleich zu Bayreuth das für Menschen mit langen Beinen bequemere Mobiliar.
Der eigentliche Mäzen ist der Steuerzahler
Dem schloss sich auch Markus Söder an. Angela Merkel habe ihn zwar zum Wagnerianer erziehen wollen, aber das sei nicht völlig gelungen. "Ich bin nicht der große Kunstkenner“, bekannte der Ministerpräsident. Aber er sei gerne Mäzen. Denn Despoten erkenne man daran, dass sie die Kunstfreiheit kassieren. In diesem Sinn seien Investitionen in Kunst stets Investitionen in Demokratie, und daran werde in Bayern – Stichwort "Kulturmilliarde“ – nicht gespart.

Mal davon abgesehen, dass Mäzene eigenes Geld und nicht das des Steuerzahlers verteilen, passte Söders Panegyricus demokratischer Werte nur bei stärkster lokalpatriotischer Gestimmtheit zum Lob der nicht so ganz demokratischen Wittelsbacher, die im taktischen Umgang mit Napoleon die "Bayerische Politik der Geschmeidigkeit“ entwickelt haben sollen. Aber ersten saß Herzog Franz in der ersten Reihe und zweitens sind Festreden kein politikwissenschaftliches, historisches oder theatergeschichtliches Seminar.

Deshalb blieben den ganzen Abend auch die vergleichsweise langweiligen Umstände der Festspiel-Erfindung ebenso unerwähnt wie der Name des seinerzeitigen Intendanten Karl von Perfall, der zwar den Menschen Wagner nicht mochte, seine Opern aber in optimaler Besetzung und Ausstattung spielen ließ, was in Bayreuth ein Jahr nach Erfindung der Münchner Opernfestspiele nicht völlig gelang.
Beim nächsten Mal die mächtigste Frau
Zuletzt trat die Präsidentin der Europäischen Zentralbank ans Rednerpult. Und weil Christine Lagardes offizielle Biografien ihre mehrfache Wahl zur zweitmächtigsten Frau der Welt durch ein Wirtschaftsmagazin betonen, fühlte sich Söder zur flapsigen Bemerkung provoziert, beim nächsten Mal dann die mächtigste Frau der Welt als Rednerin ins Nationaltheater einladen zu wollen.

Lagarde rächte sich mit einer solide aufgeschriebenen Sonntagsrede zur europäischen Idee, die sich als diplomatische Kritik an den illiberalen und populistischen Anteilen von Söders Politik wie dem Bruch der Schengen-Vereinbarung lesen ließ. Trotzdem wurde nicht so recht deutlich, warum man für diesen Anlass eine Juristin und keine Intellektuelle oder einen Intellektuellen eingeladen hatte.

Panofskys boshaftes Wort vom Sommerschlussverkauf könnte aber eine Erklärung liefern. Denn wenn am Ende des Sommers bei meist ausverkauftem Haus Bühnentechnik und Orchester auf Touren gebracht werden, vermag das künstlerisch geschulte Auge und Ohr bisweilen ästhetische Überhitzung zu konstatieren. Da hört die Intendanz dann lieber freundliche Worte aus der Bank und sonnt sich mit den Sponsoren im Glanz des großen Geldes. Und bei einem Opernhaus von Welt wie der Bayerischen Staatsoper muss es dann schon die Europäische Zentralbank sein, wenn schon die Weltbank keine Termine frei hat.
Das letzte Wort hatte Monteverdi
Zwischen den Reden tanzte der Dirigent Stefano Montanari zur Musik von Händel bis Rameau vor dem Bayerischen Staatsorchester. Sonya Yoncheva gab sehr überzeugend die Diva - und einen Vorgeschmack auf ihre Dido bei den Festspielen. Sie bewies wieder einmal, dass sie als Interpretin Alter Musik womöglich besser besetzt ist wie als Norma oder Tosca.
Zuallerletzt erschien noch Avery Amereau für das Schlussduett aus Monteverdis "L’incoronazione di Poppea“. Und da drängte sich die Frage auf: Warum bringt die Staatsoper nach dem Gärtnerplatztheater nun auch noch Händels Allerwelts-"Alcina“ heraus, wenn sie seit Jahren dieses frühe Meisterwerk der Operngeschichte nicht in ihrem Repertoire hat?
Infos zum Programm der Münchner Opernfestspiele und zu Restkarten auf der Homepage der Bayerischen Staatsoper. Dort kann auch die Rede von Christine Lagarde (mit Fußnoten!) nachgelesen werden.