"Love for Sale" im HochX: Kein Trip ins Paradies
Das Lied klingt zuckersüß, gerade, wenn es sanft auf der Gitarre gespielt und von drei schön harmonierenden Stimmen gesungen wird. "Love for Sale" heißt der einst von Cole Porter interpretierte Song aus den 1930ern. Der Musiker Florian Kreier alias Angela Aux und die Schauspielerinnen Lisa Marie Stojčev und Mara Widmann stimmen ihn auf der Bühne des HochX an. Die Singenden nehmen die Sicht einer Prostituierten ein, die ihren Dienst im Mondlicht antritt und einen "trip to paradise" verspricht, wenn man denn bereit ist, den Preis dafür zu bezahlen.
Schöner Gesang und schöner Schein
Frische, nur leicht beschmutzte Liebe hat das Freudenmädchen im Angebot, und das hört sich doch wesentlich flauschiger an, als wenn es hier um Lust, Geilheit und Sex ginge. Romantisierungen des "ältesten Gewerbes der Welt" kennt man zur Genüge, auch aus dem Kino: Die schwarzhaarigen Perücken mit Schleifchen, die das performende Trio zu Beginn auf den Köpfen trägt, erinnern an den Look von Shirley MacLaine als heiterer Dirne in Billy Wilders Komödie "Das Mädchen Irma La Douce".
Zunächst also bekommt man schönen Gesang und schönen Schein von Regisseurin Karen Breece und ihrem Team serviert. In lockerer Verführung üben sie sich, locken das Publikum musikalisch in die Performance "Love to Sale" hinein. Auch die Bühne sieht heimelig aus: Ein flauschiger Teppich bedeckt teilweise den Boden, überdeckt hinten ein breites Liebesbett, wobei die leichte Erhebung mitsamt Teppichbedeckung auch etwas von einem Heuballen hat. Stojčev und Widmann nutzen das niedrige Podest zum Liegen und Räkeln sowie als Sitzgelegenheit für Expertinnen und Experten des Alltags, die im Publikum verteilt sitzen und im Lauf des Abends einzeln zum Talk nach vorne eingeladen werden.
Regisseurin Karen Breece könnte an alte Erfolge anknüpfen
Karen Breece hat mehrfach bewiesen, wie gekonnt sie dokumentarische Theaterabende inszenieren kann. Ihr Stück "Don't Forget to Die", in der sie fünf ältere Menschen über das Leben und Sterben heiter wie melancholisch nachdenken ließ, hat man noch sehr gut in Erinnerung. An diesen Erfolg könnte sie nun anknüpfen, aber Breece legt in ihrer Auseinandersetzung mit Sexarbeit bewusst eine andere Gangart ein.
So lässt sie Lisa Marie Stojčev zwar verschmitzt von einem "'Don't forget to die' mit Nutten" sprechen, und beide Schauspielerinnen machen zu Beginn launig einen auf improvisierten Dialog. Aber man wird doch bald selbst auf die Frage gebracht, welche Neugier einen zu diesem Abend treibt. "Wer war denn schon mal im Puff?" wollen die Schauspielerinnen arglos wissen. Das Saallicht geht dabei nicht anklagend an, das Publikum bleibt im sicheren Dunkeln und natürlich meldet sich niemand.
Verschiedene Aspekte von Prostitution und Sexarbeit werden beleuchtet
Dabei geht laut Statistik jeder fünfte Mann einmal im Leben ins Bordell, jeder zehnte Mann ist Stammkunde. "In Puff gehen immer die andern", singt Angela Aux zu beschaulichen Gitarrenklängen. In einem dramaturgisch unausgereift wirkenden, sich über drei Stunden dehnenden, aber jederzeit informativen Mix aus Performance, Talk-Show und Symposium werden diverse Aspekte von Prostitution und Sexarbeit (der Unterschied zwischen den Begriffen wird leider nie erklärt) beleuchtet.
Gerade die eingeladenen Gäste, von Widmann und Stojčev mit spürbarem Interesse interviewt, haben aufschlussreiche Informationen und Ansichten zu bieten. Jan Geiger, Theaterautor – Mit-Intendant des Pathos Theaters und jahrelanger Mitarbeiter im Schwulen Kommunikations- und Kulturzentrum Sub – erzählt etwa davon, welche psychologischen Implikationen Sexualverkehr unter dem Einfluss synthetischer Drogen hat. Während er eher wertneutral von dem Phänomen "Chemsex" spricht, kann Wolfgang Heide als Arzt, der ehrenamtlich Prostituierte betreut, aus erster Hand berichten, welche traumatisierenden Folgen der Verkauf des Körpers hat.
Psychotherapeutin zeigt Auswirkungen von Prostitution auf
Eine ähnlich starke Haltung gegen die Prostitution vertritt Anna Schreiber, die sich einst selbst verdingte und heute als Psychotherapeutin mit den Auswirkungen der Prostitution auseinandersetzt. In einem beeindruckenden Vortrag macht sie klar, wie Sex "als aparte Möglichkeit für Frauen, Geld zu verdienen" verkauft wird, während die Prostituierten letztlich geächtet werden – eine Verachtung, die sich ins Selbstbild einschreibt und zur Selbstentfremdung führt. Dass Frauen freiwillig sich verkaufen, entlarvt sie als "Märchen" und wirkt dabei sehr überzeugend, weil sie aus der Innen- wie Außenansicht spricht. Stark berührend auch: Samuel Flach, der als Rollstuhlfahrer die Dienste einer Escort-Dame ausprobieren wollte und die Aktion in letzter Sekunde in einem Moment der Empathie abblies.
"Es gibt keine netten Kunden", heißt es in einem öffentlichen Brief der dänischen Ex-Prostituierte Tanja Rahm, der in Deutschland in der "Welt" veröffentlicht wurde. Der Brief wird im Wechsel von Stojčev und Widmann vorgetragen, davor hält Widmann, ihr Rücken zum Publikum, den Monolog eines Freiers, der mit seiner Überzeugung abschließt, dass "die Nutten ja auch Lust auf mich" haben.
Auch eine Sexarbeiterin kommt selbst zu Wort
Es kommen auch andere Stimmen zu Wort, etwa von Sexarbeiterin Stephanie Klee, die gemeinsam mit ihren Klienten alt geworden ist und sich wünschen würde, dass Sexarbeit rechtlich mit anderen Erwerbstätigkeiten gleichgestellt würde. Thomas Schmauser gibt in einem stimmungsvollen Video (Regie: Annelie Boros) einen melancholischen Eindruck von Großstadteinsamkeit, die zur Sehnsucht nach anderen, vor allem mit-tanzendem Körper führt.
Letztlich macht "Love for Sale" vor allem auf die zerstörerische Wirkung der Prostitution aufmerksam und erscheint als engagierter Appel, diese endlich abzuschaffen. Von der mondseligen Romantik des Cole-Porter-Songs ist am Ende nichts mehr übrig.
HochX, Entenbachstr. 37, täglich bis 30. November, jeweils 20 Uhr, www.theater-hochx.de
- Themen:
- Kultur