Liliane Amuat spielt „Pippi Langstrumpf“ im Residenztheater
Zur Weihnachtszeit lädt das Bayerische Staatsschauspiel gerne zu einem Stück für die ganze Familie ins Residenztheater ein, so auch in dieser Saison. Von einem reinen Kinderspiel kann dabei keine Rede sein, vor allem nicht für die Mitwirkenden. Von langen Arbeitstagen weiß Liliane Amuat zu berichten, von kräftezehrenden Proben mit viel Choreografie, Musik und einigen Flugeinlagen. Dennoch wirkt sie sehr munter, weil die Rolle ihr positive Energie gibt: Liliane Amuat spielt „Pippi Langstrumpf“ unter der Regie von Daniela Kranz, die Premiere ist am 16. November 2025 um 16 Uhr im Residenztheater.
AZ: Frau Amuat, können Sie gut lügen?
LILIANE AMUAT: Nein, überhaupt nicht! Es gibt dieses weitverbreitete Missverständnis, dass Schauspielende gut lügen können müssen. Aber ich suche in meinen Rollen immer das Authentische. So lange, bis ich selbst an alles glaube, so dass ich eben nicht lüge.
Im Privaten könnten Sie sich beim Lügen doch vorstellen, eine Rolle zu spielen.
Das funktioniert leider nicht. Es gibt dieses Mafia-Werwolf-Spiel, da werde ich regelmäßig ausgelacht, weil man mir an der Nase ablesen kann, wenn ich schwindle. Mir ist es wichtig, mich für alle möglichen Emotionen durchlässig zu machen. Das ist wie ein Muskel, den ich trainiert habe, den ich aber auch nicht so einfach abschalten kann.

Mit Pippi Langstrumpf spielen Sie nun eine Figur, die regelmäßig lügt.
Sie macht sich die Welt so, wie sie ihr gefällt! Tommy sagt einmal: „Pippi lügt doch nicht richtig. Sie tut nur, als ob das, was sie sich ausgedacht hat, gelogen ist.“ Natürlich macht es ihr Spaß, Dinge zu erfinden, aber sie glaubt selbst daran. Wenn sie sagt, meine Mama ist da oben im Himmel und schaut auf mich runter, um sicher zu gehen, dass es mir gut geht, ist sie der festen Überzeugung, dass das stimmt. Oder dass ihr Vater nicht tot ist, sondern auf einer Insel lebt und gerade ein Schiff baut, um zu ihr zurückzukommen.
Pippis Lied darf nicht gesungen werden
Manche Fantasie wird ja sogar Wirklichkeit.
Genau! Das ist doch ein schönes Lebensprinzip: An die eigenen Fantasien zu glauben, aus allem ein Spiel zu machen, allem etwas Positives abzugewinnen. Ich denke, wir alle sollten mehr Pippi sein! Auch wie sie mit ihrer Umwelt umgeht: Sie begegnet allen mit großer Offenheit, fast schon mit Liebe, selbst den Dieben, die sie beklauen möchten.
Die Weltlage ist gerade so wacklig, dass wir diese gute Laune wohl brauchen können.
Das glaube ich auch. Pippis Ausgangslage ist dabei gar nicht so sonnig: Ihre Mutter ist schon lange tot, ihr Vater gondelt irgendwo in der Weltgeschichte herum. Anstatt aber in Einsamkeit zu versinken, sagt sie sich: Ich lasse mich nicht unterkriegen, sondern ich setze meine positive Energie gegen diese Situation ein, ich schöpfe sogar Kraft aus ihr!

Das erste Langstrumpf-Buch von Astrid Lindgren erschien 1945 in Schweden, 1949 in Deutschland. Bereits da wurde moniert, dass Pippi ein schlechtes Vorbild für Kinder sei: Sie lügt, ist frech, sogar reich, heute würde man sagen, wohlstandsverwahrlost…
… und kauft allen so viele Bonbons, wie sie wollen. Sie wird auch als „anarchisch“ bezeichnet, was ich gar nicht so zutreffend finde. Pippi rebelliert ja nicht bewusst gegen etwas, sondern folgt nur in allem, was sie tut, ihrem eigenen Willen. Für mich war sie schon immer ein positives Vorbild. Meine Mutter hat mir ein Foto geschickt, auf dem zu sehen ist, wie ich mich im Mädchenalter als Pippi verkleidet habe. Mir haben jetzt ein paar Leute erzählt, dass sie sich damals eher mit den Nachbarskindern Tommy oder Annika identifiziert haben, weil ihnen Pippi zu verrückt war. Ich hingegen wollte immer Pippi sein.
Pippi war ein Lebenselixier für Astrid Lindgren
Astrid Lindgren hat diese Figur im Winter 1941 als Gute-Nacht-Geschichte für ihre siebenjährige Tochter Karin erfunden, die mit einer Lungenentzündung im Bett lag. Der Figurenname stammt von Karin. Was wurde Ihnen in Ihrer Kindheit vorgelesen?
Alles Mögliche: „Die unendliche Geschichte“, „Momo“, „Madita“… Ich habe jetzt selbst einen siebenjährigen Sohn und lese ihm all das vor, was ich als Kind vorgelesen bekommen habe, darunter Märchen von Astrid Lindgren. Die sind wunderschön, aber auch sehr traurig. Astrid Lindgren war eine faszinierende Persönlichkeit, ihr Leben war dabei alles andere als leicht. Für sie war Pippi wohl auch ein Lebenselixier.
Die Verfilmungen aus den Sechzigern, Siebzigern mit Inger Nilsson haben sicherlich viele noch im Gedächtnis. Müssen Sie gegen dieses Vorbild innerlich ankämpfen?
Nein, im Gegenteil. Bei den Kostümbesprechungen war uns klar, dass gewisse Dinge sein müssen: die roten Zöpfe, die Sommersprossen… Die Filme habe ich mir teilweise nochmal angeschaut, das spielt vielleicht unterbewusst hinein, aber das ist auch gut so.

Kommen Sie beim Spielen in die gute Laune oder machen Sie sich dafür warm?
Ich finde es sehr wichtig, dass ich beim Spielen eine Freiheit in meinem Körper, in meinen Geist verspüre - insofern mache ich mich jedes Mal warm. Ich finde auch toll, dass es in der Inszenierung ein paar Dinge gibt, die sich nicht ganz kontrollieren lassen. Ich mag das, wenn auch mal Fehler auf der Bühne passieren, wenn Text vergessen wird, wenn eine Requisite am falschen Platz steht. Dann ist man plötzlich ganz im Moment.
Und was lässt sich hier nicht ganz berechnen?
Zum Beispiel haben wir ein echtes Pferd auf der Bühne! Es stammt von einem Filmtierhof, der in Harpfing bei Schnaitsee liegt. Die Besitzerin, Barbara, hat Papageien, die die Langstrumpf-Melodie pfeifen können. Wir haben bei ihr ein Pferd gecastet, es gab da etwa ein Pony, den Franz, der auch im Volkstheater spielt, ein superlustiger Kerl, aber ich habe gesagt, nein, der „kleine Onkel“ muss von einem großen Pferd gespielt werden! Mit „Irma La Douce“ hat es dann schnell gefunkt. Sie hat eine unglaubliche Ruhe, wobei sie vorher Dressur geritten ist. Sie war noch nie auf einer Bühne, ist aber großes Publikum gewohnt.
Gibt es auch den Affen, Herr Nilsson?
Keinen lebendigen. Aber es gibt einen.
Was am bayerischen Schulsystem falsch läuft
Und das Lied, „Zwei mal drei macht vier, widdewiddewitt, und drei macht neune…“?
Ich habe am Anfang stark dafür plädiert, dieses Lied hineinzunehmen. Sobald man Pippi Langstrumpf hört, singt man dieses Lied. Aber die Rechte liegen nicht bei dem Verlag. Das Trio „Club für Melodien“ hat jedoch eigene Songs komponiert, die ich sehr schön finde.
Astrid Lindgren kritisiert wohl auch die Erwachsenen, die von den Kindern ständigen Gehorsam erwarten. Der Polizist sagt: „Kleine Kinder brauchen große Leute…“
„…die bestimmen, was für die kleinen Kinder gut ist“. Ich denke auch, dass Lindgren den üblichen Vorstellungen etwas Neues entgegengestellt hat. Sie war da ihrer Zeit voraus.
Ihr Erziehungsansatz hat vielleicht was von Waldorfschule...
… oder Montessori: Dass man auf die Individuen eingeht, auf ihre Freiheit. Ich finde es schon komisch, was man im bayerischen Schulsystem für notwendig hält und was nicht. Für meinen Sohn gibt es zum Beispiel keinen Musikunterricht, dabei halte ich das für sehr wichtig. Während meiner Schauspielausbildung hatte ich oft das Gefühl, wow, hier wird eine Art von Allgemeinbildung vermittelt, die würde ich jedem Menschen wünschen.
Weil es im Schauspielunterricht viel um Einfühlung und das Zusammenspiel geht.
Genau. Um das soziale Gefüge. Miteinander singen, spielen, eine Gemeinschaft sein.
Spielen Sie jetzt zum ersten Mal Kinder- und Jugendtheater?
Nein. Ich habe zum Beispiel am Burgtheater Peter Pan gespielt oder am Zürcher Schauspielhaus Aschenputtel.
Pippi Langstrumpf ist nicht nur ein Kinderstück
Wie waren Ihre Erfahrungen mit dem jungen Publikum?
Vorwiegend schön. Die Reaktionen sind unmittelbarer, man hat im Publikum noch viel mehr einen Mitspielenden. Das kann manchmal auch laut werden - sie dann zu zähmen, ist der große Reiz. Ich empfinde das Stück aber gar nicht so als „Kinder“-Stück.
Sondern?
Ich habe das Gefühl, dass ich mit dieser Figur sehr viele Leute aus ganz verschiedenen Altersschichten erreichen kann. Wenn ich im Kostüm in die Kantine komme, winken mich die Leute aus der Küche zu sich her, die wollen mal kurz Pippi bei sich haben. Und aus meiner Zeit in Wien und Zürich melden sich plötzlich Leute und wollen nach München reisen. Ich habe hier am Haus Tony Buddenbrook gespielt, Johanna Krain in „Erfolg“ - aber nein, jetzt rufen sie an und wollen zu Pippi Langstrumpf kommen. Und das sind nicht nur Eltern mit Kindern. Diese Figur reißt offenbar bei vielen etwas emotional auf. Auch bei mir.
Die Premiere am 16. November 2025 ist bereits ausverkauft. Restkarten evtl. an der Abendkasse.
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