"Like Lovers Do" in den Kammerspielen: Ein Lied von Liebe und Leid

"Like Lovers Do" von Sivan Ben Yishai, inszeniert von Pinar Karabulut in den Kammerspielen.
Mathias Hejny |
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(Theater-) Sex, (Theater-) Blut und (Theater-) Sperma mit Bekim Latifi bei "Like Lovers Do" in den Kammerspielen.
(Theater-) Sex, (Theater-) Blut und (Theater-) Sperma mit Bekim Latifi bei "Like Lovers Do" in den Kammerspielen. © Krafft Angerer

Beim Einlass glüht das Schauspielhaus in Libidorot. Mit dem Blick auf die von Michela Flück gestaltete Bühne wird klar, dass der Abend auch weiterhin vor allem untenrum spielt. Vier Säulen recken sich phallisch in die Höhe. Aber etwa nach der Hälfte der 90 Minuten, die die Vorstellung von "Like Lovers Do (Memoiren der Medusa)" dauert, werden die Türme schlaff und sinken in sich zusammen. Ein schlichtes Bild, dass das Herz aller Feministen und Feministinnen erfreut, wäre nicht der Bezug auf den Mythos der Medusa.

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Die Medusenhäupter schmücken die Sockel der Säulen und nach der antiken Sage ist es eine Frau, die einer vergewaltigten Geschlechtsgenossin übel mitspielt. Athene war Zeugin, wie sich Poseidon an Medusa verging und verwandelte sie in ein monströses Wesen mit Schlangenhaaren und glühenden Augen. Wer sie ansieht, wird zu Stein. Perseus, einem Sohn der Athene, gelingt es dennoch, Medusa zu enthaupten. Während die kopflose Medusa noch Pegasos, das geflügelte Pferd, gebar, floh Perseus mit dem Kopf, der weiterhin eine fürchterliche Waffe ist.

Finstere und bestürzende Stoffsammlung zu sexualisierter Gewalt

Noch bis heute müssen Opfer von Vergewaltigungen erleben, dass sie in der Öffentlichkeit oder vor Gericht wie Täterinnen behandelt werden. Was die alten Griechen sich erzählten, inspirierte die Regisseurin Pinar Karabulut hingegen zu einer kunterbunten U-30-Party für Leute, die Vergnügen haben an Splatterfilmen und Transformerspielen. Die Autorin Sivan Ben Yishai legt solche Assoziationen mit ihrer sperrigen Textfläche nicht unbedingt nahe. Um die fantastische Geschichte von Medusa baute sie ein Konvolut von erfundenen wie wahren Ereignissen rund um das, wie es Liebende machen.

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Dabei entstand eine finstere und bestürzende Stoffsammlung zum Thema sexualisierter Gewalt, die sich als dramatischer Text nicht aufdrängt. Es ist ein langes Lied, das mit dem gefühlvollen Popsong "Like Lovers Do" von Madeline Juno nicht direkt zu tun hat. Aber auch die Dänin singt von Dämonen, die sie unter der Haut des Geliebten erkennt, und er lese sie wie ein Buch von Charles Bukowski. Die kompromisslose, auch schonungslose Direktheit der Sprache, mit der Sivan Ben Yishai sexuelle Praktiken jenseits der Schwelle von psychischen und physischen Verletzungen beschreibt, erinnert tatsächlich an die Werke des amerikanischen Schmuddelpoeten, der in den 60er- und 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts schockierte.

Dieses Lied ist eine lange Abfolge von Zueignungen. Mit "Dieses Lied ist gewidmet" beginnen viele der mehr geschrieenen als gesprochenen Sätze, die an alle Männer und Frauen gerichtet sind, die in Worten wie in Taten andere missbrauchen. Und das Feld, das Yishai absteckt, ist zum Verzweifeln unüberschaubar.

Die Kammerspiele geben dieser Uraufführung eine Triggerwarnung auf den Weg, um Menschen, die Missbrauch am eigenen Körper erfuhren, die Gelegenheit zu geben, sich diesem Text nicht auszusetzen. Das Haus weiß allerdings um die Ambivalenz dieser Fürsorglichkeit: "Triggerwarnungen verkaufen sich gut", heißt es einmal von den schrillen Fünf auf der Bühne.

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Feministischer Furor als super Laune

Aber vor dem, was explizite Schilderungen mit viel Blut und Sperma auslösen könnten, fürchtete sich offenbar auch die Regisseurin. Der feministische Furor entlädt sich oftmals in supi Laune. Die Kostüme, die Teresa Vergho für Gro Swantje Kohlhof, Jelena Kuljic, Bekim Latif, Edith Saldanha und Mehmed Sözer schneidern ließ, liegen irgendwo zwischen Mephisto der Gustav-Gründgens-Ära und Comic-Mutti Marge Simpson.

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Am Schluss landet ein Raumschiff und nimmt die inzwischen zu Transformern mutierten Figuren mit in eine utopische Welt ohne Gewalt und Genitalien. Der Jubel, der am Ende der Premiere ausbrach, hat vielleicht auch damit zu tun, dass es doch nicht so weh getan hat.


Wieder am 17., 19., 24. Oktober, 20 Uhr, 7. November, 19 Uhr, Tickets unter Telefon  089/23396600 und  bei Münchenticket.

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