Liebesgrüße nach Moskau: Staatsballett-Größen Ryzhkova und Cook gehen

Bayerisches Staatsballett: Ksenia Ryzhkova und Jonah Cook verabschieden sich in Richtung Russland.
Vesna Mlakar |
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Ksenia Ryzhkova und Jonah Cook im Ballettabend "Heute ist morgen" im vergangenen Juni im Prinzregententheater.
Ksenia Ryzhkova und Jonah Cook im Ballettabend "Heute ist morgen" im vergangenen Juni im Prinzregententheater. © Katja Lotter

München - Schlag auf Schlag ging es zu in dieser keineswegs unstrapaziösen Spielzeit des Bayerischen Staatsballetts. Anfangs wurde bloß mit 25-prozentiger Auslastung gespielt, ab Februar dann vor halbvollem Haus. Einige Vorstellungen wurden von der Pandemie aber auch einkassiert.

Neue Leitung: Laurent Hilaire versprach Frische

Die letzte Aufführung vor der Sommerpause gelang großartig: Im Windschatten einer diszipliniert-gelassenen, progressive Weitsicht verheißenden, angenehm-frischen Atmosphäre unter der neuen Leitung von Laurent Hilaire. Laurretta Summerscales kehrte nach ihrer Babypause mit diesem "Cinderella"-Debüt auf die Bühne zurück.

Laurent Hilaire, Direktor des Bayerischen Staatsballetts, während der Saisonvorstellung.
Laurent Hilaire, Direktor des Bayerischen Staatsballetts, während der Saisonvorstellung. © Peter Kneffel/dpa

Hilaire, der seine Arbeit als Staatsballett-Direktor bereits am 9. Mai aufnahm, hatte zum Amtsantritt nicht nur alle Tänzerinnen und Tänzer des super aufgestellten Ensembles, sondern auch das Gesamtprogramm der noch von seinem Vorgänger geplanten nächsten Saison übernommen.

Eigentlich gute Vorzeichen für die kommenden Jahre - möchte man meinen. Unter die übliche Bekanntgabe personeller Veränderungen innerhalb der Balletttruppe mischten sich allerdings auch betrübliche, im Spannungsgefüge zwischen Kultur und Politik ziemlich nachdenklich stimmende Wermutstropfen.

Wie konnte es dazu kommen? Am Abend des 3. April hatte Ballettchef Igor Zelensky seinen Rücktritt verkündet - offiziell "aus familiären Gründen", inoffiziell wegen allerlei Verbindungen zum Putin-Regime, die er nicht offenlegen wollte.

Ksenia Ryzhkova und Jonah Cook sind prägende Gesichter in München

Seit 2016 waren durch ihn tolle Künstler verschiedenster Nationalitäten in die Kompanie eingebunden und zahlreiche Tänzerkarrieren entschieden vorangetrieben worden. Diejenigen der in Moskau geborenen Ksenia Ryzhkova und des bereits zuvor in München engagierten Engländers Jonah Cook gehörten maßgeblich dazu. In den letzten Jahren prägten ihre Rolleninterpretationen die Identität und Reputation des Staatsballetts nachhaltig mit.

Doch auf dem Gruppenfoto zur Verabschiedung in die Sommerpause fehlte das junge Ehepaar schon. Mit ihren zwei kleinen Kindern verlassen beide München und ziehen nach Moskau, wo Ryzhkovas Familie lebt. Dieser persönliche Entschluss hat angesichts des Ukrainekriegs große Tragweite und mag manchen zu verständnislosem Kopfschütteln veranlassen.

Schon einmal hatten sich Ryzhkova und Cook, deren Anliegen damals war, ein zeitgenössischeres Repertoire zu tanzen, aus München verabschiedet. Sie verbrachten eine Saison bei Christian Spuck und seinem Zürich Ballett. Nun wechselt das Paar zum riesigen, 110-köpfigen Ballett am Moskauer Stanislawski-Musiktheater.

Hilaire: "Dass ich Zelensky zweimal nachfolge, ist purer Zufall"

Früherer Chef dort war Igor Zelensky und ab 2017 dann Laurent Hilaire. "Dass ich Zelensky zweimal nachfolge, ist purer Zufall", betont Letzterer. Nach Kriegsausbruch hatte Hilaire umgehend gekündigt. "Russland verlassen habe ich, weil aus meiner Sicht jegliche Kreationsfreiheit vom Tisch war - nicht unbedingt meine persönliche, sondern generell. Darauf muss man einfach reagieren. Danach war ich zunächst arbeitslos und kehrte nach Frankreich zurück. Dort hat mich später das bayerische Kunstministerium kontaktiert."

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Die vakante Stelle in Moskau wurde flugs Ensemble-intern mit dem Tänzer und Choreografen Maxim Sevagin nachbesetzt - mit 24 Jahren ein Jungspund, dem sich in einem Land, das sich gern selbst genug ist, gewiss große Chancen auftun.

Muss man nun um Ryzhkovas und Cooks Talente bangen? Oder treffen diese im neuen Umfeld gerade jetzt auf besonders fruchtbaren Boden? Seine erste eigene Choreografie "Played" hatte Cook eben erst im Rahmen des Premierenabends "Heute ist Morgen" präsentiert. Drücken wir beiden die Daumen, dass ihnen die Welt weiter offenstehen mag.

Dmitrii Vyskubenko kommt am Bolschoi-Theater unter

Die durch den russischen Angriff auf die Ukraine ausgelösten Verwerfungen sind seit Monaten im Gange. Glücklich, wer sich von Putins Machenschaften klar distanzieren wollte oder konnte. Choreograf Alexei Ratmansky hatte nach der München-Premiere seiner "Bilder einer Ausstellung" das Schwenken der gelb-blauen Fahne derart stark betrieben, dass er den Tänzerinnen und Tänzern glatt den Applaus stahl.

Schwer zu beurteilen, was damals im Kopf des mitbesetzten Dmitrii Vyskubenko - auch ein junger Moskauer - vorgegangen sein mag. Er hatte sich hier zum charmanten Solisten mit Pfiff gemausert. Jetzt kommt er am Bolschoi-Theater unter, an dessen Schule er einst ausgebildet worden war. Auf seine Stelle befördert wurde wohlverdient der Kanadier Shale Wagman, der seinen bisherigen Halbsolistenvertrag wiederum an den aus Perm zu uns kommenden Brasilianer Yago Gonzaga weiterreicht.

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Ein Faktum ist, dass viele Choreografen aus Protest ihre Werke für Russland sperren und der Großteil internationaler Künstler russische Kompanien bereits verlassen hat. So ist der britische Erste Solist des Mariinsky-Balletts Xander Parish gemeinsam mit seiner aus dem sibirischen Tomsk stammenden Frau aus St. Petersburg nach Estland geflohen. Manch einheimische Stars wie die Bolschoi-Primaballerina Olga Smirnnova haben ihrer Heimat entsetzt den Rücken gekehrt.

Principal Julian MacKay kommt vom St. Petersburger Mikhailovsky Ballet 

Infolgedessen haben so gut wie alle bundesdeutschen Theater mit der Sparte Tanz mit Trainings- oder Stellenanfragen vor allem ukrainischer, aber auch russischer Künstler zu tun. Davon ausgenommen blieb allerdings, solange am Büro des Direktors im Probenhaus am Platzl der Name Igor Zelensky prangte, unser Bayerisches Staatsballett.

Unter Laurent Hilaire, der für einen kommunikativ-offenen Leitungsstil steht, hat sich das geändert. Warum Ryzhkova, Cook und Vyskubenko trotz an sich ausgezeichneter Bedingungen und enormer Beliebtheit beim Publikum andere Wege einschlagen, macht nachdenklich. Neu zum Ensemble wird dafür vom St. Petersburger Mikhailovsky Ballet der Principal Julian MacKay stoßen. Er war der erste Amerikaner, der sowohl die Unter- als auch die Oberstufe der Moskauer Bolschoi-Ballettakademie absolviert hat. In puncto Völkerverständigung war das Ballett auf vorbildlichen Wegen. Wann daran angeknüpft werden kann, steht in den Sternen.

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  • Jadzia am 22.07.2022 17:38 Uhr / Bewertung:

    Julian MacKay hat das St. Petersburger Mikhailovsky Ballet längst verlassen, er tanzte dort als Solist. Von 2020-2022 tanzte er beim San Francisco Ballett als erster Solist, wurde dann aber nicht von der zukünftigen neuen Direktorin Tamara Rojo übernommen und kommt nun nach München.

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