Libellenzauber: Cirque de Soleil kommt nach München
Kyle Cragle (21) sitzt im Spagat, den Oberkörper auf den Boden gelegt, die Hände aufgestützt und beobachtet seinen Kollegen Tony Frebourg (35), der fünf Diabolos in die Luft wirft - und wieder auffängt. "Diabolo war eines meiner Hauptfächer an der Zirkusschule. Aber wenn ich Tony sehe," bricht ab und drückt sich ganz langsam in den Handstand hoch.
Kyle Cragle ist der Jüngste in der Artistentruppe von Ovo, der Jubiläumsproduktion des Cirque du Soleil. Der Amerikaner ist Handstandakrobat - was unspektakulär klingt, bis man sieht, wie Kyle auf einem Arm stehend vom Handstand in den schwebenden Spagat geht und wieder zurück. "Ich bin schlecht im Rennen", sagt Kyle als Erklärung, wie er als Siebenjähriger zur Gymnastik kam. Dass er hypermobil ist und seine Gelenke über das normale Maß bewegen kann, erkannte sein Trainer sofort.
In Ovo spielt Kyle eine Libelle, die einen Balanceakt auf den Stängeln einer Pflanze vollführt. Pflanzen und Libellen deshalb, weil Ovo die Zuschauer in die Welt der Insekten entführt. Die Blumen, Früchte und natürlich das namensgebende Ei sind gigantisch groß, während die Artisten in bunten Kostümen in dieser Gigantenwelt wuseln.
Ovo ist die 25. Show des Cirque du Soleil, die zum 25-jährigen Jubiläum kreiert wurde. Sie gastierte im Zelt in dreißig Städten, bis sie als Arena-Show überarbeitet wurde und nun erstmalig nach Europa kommt. Der Cirque du Soleil selbst ist so eine fremde, wuselige Welt, wie die der Insekten. 1984 von 20 Straßenkünstlern in Montreal gegründet, beschäftigt das Entertainment-Unternehmen heute weltweit 4000 Mitarbeiter. Allein im internationalen Hauptsitz in Montreal arbeiten 1500 Menschen in über 100 Berufen - hier werden auch die Kostüme und das Bühnenbild gefertigt.
Das Kostüm von Kyle hat vor ihm schon ein anderer Artist getragen. Weil Kyle wegen seiner Hypermobilität seine Beine hinter jedes Körperteil klemmen kann, riss ihm seine segmentierte, panzerartige Hülle ständig und er bekam ein eigenes Kostüm geschneidert.
Kostümbildnerin Liz Vandal hat es geschafft, das Aussehen von Insekten zu suggerieren, ohne ihre Anatomie zu kopieren. Stattdessen sind ihre Tiere lang und geschnürt, eine Mischung aus futuristischen Superhelden und Rittern in Renaissancerüstungen.
Rund fünf Stunden vor der Vorstellung probt Kyle im Backstage in einem grauen Trainingsanzug. Jeder Backstage des Cirque du Soleil ist gleich aufgebaut. Das soll den Künstlern, die zehn Wochen auf Tour sind, zwei Wochen frei haben und wieder zehn Wochen touren, die Arbeit erleichtern: Hundert Menschen aus zwanzig Nationen arbeiten an und in der Show - ihre Flaggen und die des Cirque du Soleil hängen hinter der Bühne. Tony Frebourg aus Frankreich hält fast alle offiziellen Diabolo-Rekorde und versucht gerade die fünf Diabolos bühnenreif zu machen. In Ovo spielt er ein Glühwürmchen. Der Schlappseilartist ist eine Spinne, die Trapezkünstler sind Glückskäfer und die Hand-zu-Hand-Akrobaten am Seil sind Schmetterlinge.
Eineinhalb Stunden vor der Show schlüpft Kyle in sein Libellenkostüm, schminkt sich eine Stunde das Gesicht und macht sich warm. 300 Mal hat er dieses Prozedere in diesem Jahr schon gemacht. Weil der Cirque du Soleil mit seinen Shows oft jahrelang tourt, werden noch viele hundert hinzukommen. "Ich habe mit neun Jahren beschlossen, zum Zirkus zu gehen. Und jetzt", Kyle zeigt zu seinem Kollegen Tony, der konzentriert seine fünf Diabolos wirft, "bin ich beim größten Zirkus der Welt."
Vom 13. bis 17. Dezember gastiert der Cirque du Soleil mit "Ovo" in der Münchner Olympiahalle, Karten: 63 - 105 Euro, 089 54 81 81 81
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