Kritik Priscilla-Musical am Gärtnerplatz: Die weißgewaschene Federboa

Gärtnerplatz im Regenbogen: Das Musical "Priscilla – Königin der Wüste" nach dem Kultfilm von Stephan Elliott.
Robert Braunmüller |
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Tick (Armin Kahl) und Adam (Terry Alfaro) amüsieren sich, die Kylie-Minogue-Puppe verbreitet sowieso gute Laune.
Marie-Laure Briane Tick (Armin Kahl) und Adam (Terry Alfaro) amüsieren sich, die Kylie-Minogue-Puppe verbreitet sowieso gute Laune.

Ein schwules Musical im Gärtnerplatztheater? Diese Idee ist so platt wie verführerisch. Und zugleich ein wenig überholt. Das Viertel um das Theater ist längst gentrifiziert. Die Homosexualität hat sich verbürgerlicht und kann sich auf dem Standesamt den bürgerlichen Segen holen. Da wird ein Stück wie "Priscilla – Königin der Wüste" nach dem Szene-Kultfilm von Stephan Elliott leicht zum Fummelweihespiel und zur nostalgischen Szene-Selbstfeier.

Zu behaupten, Gil Mehmerts Inszenierung wäre in diese Falle getappt, wäre übertrieben. Aber es liegt ein Mehltau routinierter Bravheit über dieser deutschen Erstaufführung. In der Premiere der deutschen Erstaufführung störte das keinen: Sie wurde mit stehendem Beifall und selten erlebtem Enthusiasmus aufgenommenen. Bei fast jedem Hit dieses Jukebox-Musicals wurde rhythmisch mitgeklatscht.

Dauersexualisierte Sprache im klinisch sauberen Umfeld

"Priscilla – Königin der Wüste" erzählt von Tick, einer mäßig erfolgreichen Drag-Queen. Warum ihre Auftritte in einem zweitklassigen Club der australischen Metropole Sidney vom Publikum ausgepfiffen werden, erschließt sich kaum. Melissa King hat diese Szene auch nicht anders choreografiert wie den Rest des Abends, der immer wieder mal die Sphäre des mitteldeutschen Fernsehballetts streift.

Getanzt und gesungen wird handwerklich perfekt. Aber leider immer mit einem Hauch von Hausfrauensauberkeit. Es ist alles schön, sauber und abwaschbar. Nur die schal-anzüglichen Witze der Aufführung können in einer wohlgesetzten Tageszeitung wie der vorliegenden nicht wiedergegeben werden. Die dauersexualisierte Sprache allein rechtfertigen den Rat des Theaters, Personen unter 15 Jahren möchten die Aufführung meiden. Sonst ist alles familientauglich.

Denn so schwul sich "Priscilla" auch gibt, am Ende werden doch bürgerliche Edelwerte hochgehalten. Tick geht mit drei Kolleginnen in die Wüste, um am Ende im Casino seiner Ex als gefeierter Star aufzutreten. Die alternde Transsexuelle Bernardette findet die große Liebe: Der sonst oft so routiniert oberflächliche Erwin Windegger spielt die Verletzungen, Enttäuschungen und das Aufflackern neuen Glücks so hinreißend und bewegend, dass man voller Rührung zuschaut.

Bis dahin wird gewitzelt, was das Zeug hält. Das finale Coming-Out und der Appell zur Toleranz wirkt deshalb umso stärker. Da zerdrückt auch der hartgesottenste Zyniker eine Träne: Ticks achtjährigem Sohn ist völlig egal, welchem Beruf sei wiedergefundener Papa nachgeht. Benji (Timothy Scannell) hat schon vorher mal eine Regenbogenfahne auf eine Tafel gemalt. Und für eine gemischtgeschlechtliche Patchworkfamilie wäre im Hotel seiner Mutter genügend Platz. Nur Adam (Terry Alfaro) hat keine so langfristige Lebensplanung: Er steigt auf den Ayers Rock, um den Sonnenaufgang zu besingen. Dass das schwule Trio auf seiner Reise ins Herz Australiens angefeindet und fast verprügelt worden wäre, ist da längst vergessen. Es wurde auch schon vorher schnell von effektvollen Shownummern mit Friede, Freude und Eierkuchen fortgespült.

Gärtnerplatz-Rezept: Entertainment durch Psychologie vertieft

In ihren besten Momenten folgt die Aufführung dem bewährten Gärtnerplatz-Rezept, Entertainment durch Psychologie zu vertiefen. Eine ähnliche Strategie hat Jeff Frohner im Graben: Das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz veredelt mit echten Bläsern und Streichern die Plastik-Hits der Achtziger und Neunziger. Weil echte Drag-Queens eigentlich nur die Lippen bewegen, werden Armin Kahl, Erwin Windegger und Terry Alfaro von einem weiblichen Diven-Trio begleitet. Aber sie singen auch selbst. Und zwar so, dass Donna Summer, Tina Turner und Kylie Minogue keine Sekunde vermisst werden.

Prospekte, Videos und Stoffkänguruhs werden auf Jens Kilians Bühne nicht geschont. Die aufwendigen Kostüme von Alfred Mayerhofer verdienen einen Musical-Oscar. Sie tragen bei zu einer Riesenparty, bei der es hoch hergeht, als gäbe es kein Aids und keine Diskriminierung. Dazu erinnert die Musik an eine Zeit, in der das Fleisch noch nicht welk, sondern jung und knackig war. Und das Gärtnerplatzviertel noch ein bisschen wilder.

Das hört und sieht man alles gern. Aber die weltumarmende Ekstase von Mehmerts "Hair"-Version in der Reithalle bleibt aus. Und wie alle Erinnerungen ist auch "Priscilla – Königin der Wüste" nicht ganz echt, sondern eine regenbogenfarbene Verklärung. Da streift die Aufführung dann doch zu oft die Sphäre des Kitsches. Und gerade deshalb wird sie zum Kultstück werden.


Wieder heute, Samstag, und am 16., 19., 22. und 31. Dezember sowie im Januar und Februar, Karten unter 089 2185 1960

Lesen Sie auch: Regisseur Gil Mehmert über "Priscilla - Königin der Wüste"

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