"König Ödipus" von Sophokles im Staatsschauspiel, inszeniert von Mateja Koleznik
Neulich im Kanzleramt Theben: Die Regisseurin Mateja Koleznik serviert "König Ödipus" im Residenztheater eisgekühlt
Wenn sich der trauerflorschwarze Vorhang hebt, wird der Blick frei auf eine weitere schwarze Wand, in die in einiger Höhe ein Guckkasten im Breitwandformat eingelassen ist. Dort sind ein paar Quadratmeter des Herrscherpalasts von Theben zu sehen. Um im Bild vom Kino zu bleiben: Der Thriller ist in nur einer einzigen Einstellung gedreht. Manches in Mateja Koleniks „König Ödipus“ Inszenierung am Residenztheater geschieht außerhalb des eng kaschierten Blickfelds. Den Selbstmord der Königin und die anschließende Selbstblendung des Königs hat bereits der Autor außerhalb der Szene angesiedelt. Hier aber wird auch die Debatte im Ältestenrat über die Lösung des Pest-Problems und die Jagd nach dem Mörder, der mit seiner Tat den Fluch der Götter auf sich zog, aus einem unsichtbar bleibenden Saal übertragen.
Unterdessen kann der Zuschauer parlamentarischen Alltag beobachten. Saaldiener tragen Wasserbehälter, Klopapier-Vorräte oder Müllsäcke durch den Flur des Hohen Hauses. Ein anderer ist damit beschäftigt, den Aschenbecher, der genau die Mitte des Raumes markiert, zu leeren. Er ist vor allem Treffpunkt der Politiker, die hier rauchen wie Helmut Schmidt zu seinen besten Tagen.
Folgerichtig erinnert hier alles an die geradlinige und betont prachtfreie Architektur im Regierungsviertel der Bonner Republik. Die stockwerkhohen Fenster, die im Residenztheater die nun ganz wirklich eine „vierte Wand“ zwischen Bühne und Zuschauern bilden, scheinen dem vollverglasten Kanzlerbungalow nachempfunden zu sein.
Abgrenzung von der Konkurrenz
Trotz dieser Zeitverschiebung aus der Antike in unser Heute verzichtet Regisseurin Mateja Koleznik bei ihrer Klassiker-Zubereitung auf Postdramatisches. Damit grenzt sich das Staatsschauspiel ab von der Konkurrenz in den Kammerspielen, wo mit Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ die Rollenzuschreibung mit jelinesker Radikalität aufgelöst wurde und die Identifizierung des jeweiligen Sprechers nur mit Hilfe von Telepromptern zum Mitlesen möglich ist.
Koleznik erzählt den Krimi um den König, der den Vater erschlug und die Mutter heiratete, in straffen eineinhalb Stunden mit der klassisch rhythmisierte Übersetzung von Dietrich Ebener. Daher fremdelt die archaische Wucht der orakelgesteuerten Macht des Schicksals im nüchternen Design und unter den gepflegten Anzugträgern. Wie schon in ihrer vorigen Produktion in München, Flauberts „Madame Bovary“, gefriertrocknet die Regisseurin die Emotionalität der Figuren in geometrischer Strenge.
Die Bovary war Sophie von Kessel, die jetzt Iokaste spielt, die Ehefrau und, wie die Ermittlungen ergeben, Mutter des Ödipus: Sehr schön, sehr elegant und sehr kühl, wie es sich für das Milieu der Parlamentarier und Diplomaten gehört. Nur in einem kurzen, scheinbar unbeobachteten Moment küsst sie Ödipus leidenschaftlich.
Thomas Lettow ist ein Ödipus mit jungenhaftem Charme und jugendlichem Ungestüm, der mit schnörkelloser Entschlossenheit sowohl die Aufdeckung der Schuld als auch die Sühne betreibt. Ein sensibler Umgang mit den Menschen seiner Umgebung gehört nicht wirklich zu seinen Stärken: Den Schwager Kreon (Bijan Zamani) beleidigt und verprügelt er, dem greisen und blinden Seher Teiresias (beeindruckend in seiner unerschütterlichen Würde: Hans-Michael Rehberg) nimmt er einfach den Stock weg, wenn er sich noch ziert, die ganze furchtbare Wahrheit zu enthüllen.
Residenztheater, 21., 22., 29. Oktober, 19.30 Uhr, 3., 13., 16., 18. November, 20 Uhr, Karten unter 21851940