"Kir Royal“ fortsetzen? Elsa-Sophie Jach über "Lapidarium“
Der Autor Rainald Goetz hat einen neuen Theatertext geschrieben: "Lapidarium“. Er ist eine Mischung aus Tagebuch, Erinnerung und Gedankenstrom, ein Abschiednehmen von der Welt und den Menschen in ihr. Es gibt keine Rollen und keine offensichtliche Handlung. Die Regisseurin Elsa-Sophie Jach inszeniert das Stück, das irgendwie keines ist und doch jede Menge Theatralität birgt, nun am Residenztheater. Ein Gespräch über das Suchen und Finden.
AZ: Frau Jach, erinnern Sie sich noch an Ihre erste Begegnung mit dem Autor Rainald Goetz?
ELSA-SOPHIE JACH: Das erste, was ich von ihm gelesen habe, war sein Roman "Irre“. Während ich dann in Berlin Literaturwissenschaft studiert habe, hatte er eine Gastprofessur an der FU und war darum ziemlich präsent. Das erste Theaterstück, das ich von ihm gesehen habe, war "Jeff Koons“, eine Studienproduktion in Zürich.
Und wie waren Ihre ersten Eindrücke?
Ich fand seine Texte extrem unterschiedlich. "Jeff Koons“ ist leichtgängig, zugleich aber scharf und witzig. "Irre“ dagegen fand ich beim Lesen unglaublich bedrückend, auch herausfordernd, dieses Fetzenhafte der ersten hundert Seiten oder so. Diese Bandbreite hat mich sehr beeindruckt. Er wechselt zudem ständig zwischen Theorie und Handlung, seine Texte sind sprachliche Ergüsse oder Kaskaden, das fand ich irgendwie toll.

Und nun inszenieren Sie die Uraufführung eines dieser "Ergüsse“. Wie kam es dazu?
Andreas Beck hat diese Kombination Rainald Goetz vorgeschlagen, der sich dann mit meiner Arbeit beschäftigt hat und die Idee gut fand. Ich wiederum habe "Lapidarium“ gelesen und gedacht: auf jeden Fall! Dann haben wir uns persönlich im Rahmen der Mülheimer Theatertage getroffen und beschlossen: Das passt.
Ihre vorangegangene Inszenierung war der klassischste aller Theatertexte, "Romeo und Julia“. Der Text von Rainald Goetz ist das komplette Gegenteil, eine Textfläche ohne Rollen. War das genau der Reiz nach dem Shakespeare?
Natürlich ist es ein Zufall, dass die beiden Stücke nun so direkt aufeinander folgen. Diese Texte fordern unterschiedliche Herangehensweisen und stellen mich als Regisseurin vor ganz andere Aufgaben. Und das fand ich spannend. "Romeo und Julia“ ist maximal aufgeladen, alle kennen die Handlung. Es geht darum, Szenen, von denen viele Zuschauende ein eigenes Bild haben, auf eine neue, eigene Art zu inszenieren. "Lapidarium“ kennt noch niemand, es gibt auch gar nicht so eine eindeutige Handlung oder klare Figuren. Da darf man vieles in den Proben erfinden.
Es ist eine Art Gedanken- und Bewusstseinsstrom.
Der aber auch ständig die Perspektive wechselt. Da müssen wir erstmal eine Übersetzung finden, damit das szenisch funktioniert. Aber je öfter wir den Text während der Proben gesprochen haben, desto mehr hat er eine szenische Qualität entblättert. Dieser Text will auf die Bühne! Aber man muss halt viel mehr drumherum erfinden, was bei anderen Stücken vorgegeben ist. Dadurch habe ich aber auch eine ganz andere Freiheit. Ich kann das im Prinzip als Monolog machen oder mit 100 Personen, dazwischen ist alles möglich.

Haben Sie mit dem Autor Kontakt?
Wir haben uns noch ein zweites Mal persönlich getroffen, in München. Er hat mir das Stück dort quasi übergeben und gesagt: "So, jetzt such dir deinen Weg durch den Text. Ich freu' mich darauf, das dann zu sehen.“ Es ist schön und wichtig bei so einem Werk, dass ich die Freiheit habe, meinen eigenen Zugang zu suchen.
Was hat Sie an diesem Text besonders interessiert?
Am Anfang und am Ende gibt es dieses Bild: Da steht jemand an einem See, schaut aufs Wasser. Der Tod klopft einem von hinten auf die Schulter, aber man dreht sich noch nicht um. In dem Moment gehen tausend Millionen Gedanken los, die den anklopfenden Tod und das vergangene Leben betreffen, sowie die Frage, was davon bleibt. Das fand ich ein starkes poetisches Bild. Und das hat mich gecatcht. Und natürlich die Sprache. Ich liebe es, wenn Sprache widerständig, rhythmisch und musikalisch ist. Und ich mag es, wenn in einem Text über das Schreiben nachgedacht wird: Wie erzähle ich? Wie kann ich mich ausdrücken? Was bleibt? Diese Fragen verbinden den Goetz-Text auf gewisse Art mit Heinrich von Kleists "Käthchen von Heilbronn“ und Tove Ditlevsens "Kopenhagen-Trilogie“, die ich auch inszeniert habe. Diese verzweifelte Suche nach einer Sprache und einem Ausdruck berührt mich sehr.

Im Text von Rainald Goetz tauchen unzählige Menschen auf, von Helmut Dietl über Herbert Achternbusch bis zu Gerhard Polt. Teilweise kommt man sich beim Lesen vor wie auf einer Party, auf der alle befreundet sind, nur man selbst kennt niemanden. Ist das nicht teilweise sehr hermetisch?
Ich glaube, man muss nicht all diese Menschen kennen, um zu verstehen, worum geht. Vielleicht triggert der eine oder andere Name etwas in einem, andere wiederum kenne ich nicht, muss ich aber auch nicht. Es ist eher der Sound einer Zeit, dieses Münchens der 1980er Jahre. Da blickt einer auf sein Leben zurück, und bestimmte Gestalten aus der Vergangenheit tauchen nochmal auf. Ich habe beim ersten Lesen ganz bewusst gar nichts nachgeschaut, um zu sehen, ob der Text auch so zu mir spricht. Und das hat funktioniert. Ich muss nicht jeden einzelnen Bezug verstehen.
Teilweise spielt der Text auch mit einem kollektiven kulturellen Gedächtnis dieser Stadt.
Genau. Dieser Film im Stück zum Beispiel ist sehr verspielt und leichtfüßig. Da stellt der Autor Goetz sich vor, wie er mit Helmut Dietl und Franz Xaver Kroetz eine Fortschreibung von Serien wie "Monaco Franze“ oder "Kir Royal“ dreht. Parallel dazu gibt es eine Ebene, die sich mit dem Tagebuch als poetische Form auseinandersetzt, mit der Frage, was man veröffentlicht, aber auch wen man damit möglicherweise verletzt. Da kommen Fragen von Freundschaft und Verantwortung mit rein, am Ende gibt es ein großes Plädoyer für Zartheit und Feinheit. Ich wünsche mir, dass etwas von diesem Suchen nach dem richtigen Erzählen auf der Bühne sichtbar wird. Denn wir suchen ja auch während der Proben, bauen Szenerien auf und ab. Und immer ist dieser große Schmerz dabei, dass alles wieder verschwinden wird: Es gibt diese Flüchtigkeit im Leben und im Theater.
Sie sind eine Regisseurin, die einen feministischen Blick auf die Stücke wirft, die sie inszeniert. Dieser Text ist ein extrem männlicher, nicht nur der Autor ist ein Mann, auch fast alle Menschen, die vorkommen. Wie gehen Sie damit um?
Grundsätzlich sind die Fragen des Stückes - Tod, Schrift, Mensch - wie Goetz sie zusammenfasst, ja universell. Deshalb fand ich es erstmal wichtig, dass ich auch Frauen auf der Bühne habe. Rainald Goetz umkreist das Thema Männlichkeit ganz stark, aber es ist eine fragile Männlichkeit. Der Lost Cowboy der 1980er Jahre funktioniert nicht mehr, auch nicht in diesem Text. Ich sehe da ein Plädoyer für eine andere Form von Männlichkeit, und das finde ich total schön und spannend. Und Goetz hat sich schließlich auch für eine weibliche Perspektive entschieden, als er mich als Regisseurin auswählte.

Würden Sie sagen, dass der Text ein versöhnlicher ist?
Ich habe mich an vielen Stellen eingeladen gefühlt, Gedanken mitzudenken. Der Text kommt mir nah, auf bedrückende, aber auch inspirierende Weise. Versöhnlich ist das erstmal nicht. Aber im zweiten Teil gibt es eben dieses Plädoyer für Freundschaft und Verantwortung. Trotzdem ist das Ende düster, es wird ein Tod erzählt auf der Bühne. Der Versuch des Autors, von etwas zu berichten, wovon man eigentlich nicht sprechen will, ist sehr berührend. Er arbeitet sich daran ab, und darin liegt etwas sehr Kraftvolles.
Premiere am 10. Oktober um 19.30 Uhr im Residenzthater, Restkarten unter Telefon 2185 1940
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