"Kinder der Sonne" - die AZ-Kritik

Saisonauftakt am Residenztheater: David Boesch inszeniert Maxim Gorkis „Kinder der Sonne“ sehr boulevardig und politisch brav
von  Mathias Hejny
Maxim Gorkis "Kinder der Sonne" im Residenztheater.
Maxim Gorkis "Kinder der Sonne" im Residenztheater. © Thomas Dashuber

Die Premiere eines Schauspiels aus revolutionären Zeiten am Abend vor einer Bundestagswahl hat einen besonderen Prickel. Das Publikum ist offen für Fragen um die Zukunft und fühlt sich neuen gesellschaftlichen Entwürfen entweder zustimmend oder ablehnend näher. Und alle wissen, dass am Ende alles doch ein paar Nummern kleiner ausfallen wird. Der Chemiker Protassow, zum Beispiel, träumt, dass die Menschen, diese „Klümpchen Eiweiß“, einst sich als „Kinder der Sonne“ edel über die Schöpfung erheben werden.

Dem übrigen Personal in „Kinder der Sonne“ geht es ähnlich, auch wenn es ihnen nicht gleich um das Weltganze geht, sondern nur um ein bisschen privates Glück. Der einzige, der dieses Problem nicht hat, ist der Schlosser Jegor. Völlig illusionsfrei verprügelt er seine Frau „so lange sie nicht pariert“ und lebt überwiegend im Suff. Er braucht keine Utopie, um mit seiner Gegenwart unglücklich zu sein. Innerhalb dieses kleinstädtischen Beziehungsgeflechts in der russischen Provinz repräsentiert der Handwerker das Proletariat, von dem der Autor sich als „bitter“ enttäuscht zeigte.

Heruntergedimmt

Maxim Gorki schrieb das Stück im Gefängnis, in das er wegen seiner Unterstützung der Russischen Revolution von 1905 gesteckt worden war. Es ist auch das Todesjahr von Anton Tschechow, vor dem sich Gorki mit „Kinder der Sonne“ verbeugte. Das Stück, das vor dem historischen Hintergrund einer zu einem Aufstand führenden Cholera-Epidemie spielt, ist eine melancholische Komödie.

Für seine Inszenierung zur Saisoneröffnung des Residenztheaters dimmte David Bösch die Wehmut ebenso stark herunter wie die Bedrohung durch die Seuche, die außerhalb des Wissenschaftler-Haushalts herrscht. Bühnenbildner Patrick Bannwart errichtete dafür eine industriell wirkende Halle mit viel Sichtbeton und dem von vielen gelben Selbstklebezetteln, Plakaten und der Da-Vinci-Skizze vom menschlichen Körperbau belebten Charme einer WG von Naturwissenschaftsstudenten. Hier zündet man Zigaretten schon mal mit dem Bunsenbrenner an und hier haust Norman Hacker als Protassow. Was er als verrückter Professor macht, ist Boulevardkomödie der Premiumklasse. Jede Verwirrtheit, jedes kleine überraschte Stammeln ist Maßarbeit.

Der Abend ist zu brav

Die wird noch komischer, wenn sie auf den vom langjährigen Zusammenleben mit dem Labor-Freak ernüchterten Sarkasmus seiner Frau Jelena trifft. Hanna Scheibe ist eine elegante, aber kühle Schöne, was auch der stets euphorisierte, aber aussichtslos in sie verliebte Maler Wagin (Aurel Manthei) zu spüren bekommt. Am Chemie-Nerd zerschellt auch Melanija (Katharina Pichler), die sogar „wie ein Hund leben“ will, um in der Nähe des Professors sein zu dürfen. Noch unglücklicher ist nur ihr Bruder Boris: Till Firit macht aus dem verliebten Tierarzt die vielschichtigste Figur dieses Beziehungsreigens.

Boris liebt Lisa, die Schwester des Professors, aber die leidet an schwachem Nervenkostüm und ist verliebt vor allem in ihre Krankheit. Mathilde Bundschuh zeigt ein blasses Mädchen, das seine Kassandra-Rufe mit fatalistischem Witz bekömmlicher macht. Das hohe komödiantische Niveau dieser Gorki-Inszenierung ist auch ihr Problem: Der Abend ist zu nett. Sogar das actiongeladene Finale, bei dem Schlosser Jegor (grotesk grobianisch: Thomas Huber) die angeführten Aufständischen aus dem Ort anführt, brutal in das Haus Protassows eindringt und von Jelena erschossen wird, ist bei Bösch weitgehend gestrichen und durch einen schnell verhuschten Theatereffekt mit Nebel im Gegenlicht entdramatisiert.

Residenztheater, wieder am 29. September, 14. Oktober, 20 Uhr, Telefon 2185 1940

 

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.