Kalte Romantik des Geldes

Volkstheater, Kleine Bühne: Der junge Regisseur Aabdullah Kenan Karaca verdichtet Fitzgeralds Gesellschaftsroman „Der große Gatsby“ zu einem geistreichen, etwas plakativen Kammerspiel
Adrian Prechtel |
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F. Scott Fitzgerald hat 1925 den Leser nicht bevormundet: Wir durften uns mit „Der große Gatsby“ vom Reichtum staunend einlullen lassen, erlebten die radikalromantische Liebesprojektion von Gatsby, rätselten über seine Herkunft und die seines (vielleicht kriminellen) Geldes. Börsenmakler-Neuling Nick (im Stück: Jakob Geßner) blickt dabei mit unseren normalbürgerlichen Augen auf diese Glitzerwelt. Aber die Bilder dekadenten High-Society konnten wir selbst beurteilen.

Regisseur Aabdullah Kenan Karaca kennt solche Subtilitäten nicht – aber das schadet auch nicht. Er beginnt schnell mit dem Auftritt des superreichen Ken-und-Barbie-Puppenpaars Daisy und Tom, die alkoholisch überdreht Leere und Ehekrise überspielen. Das ist der fulminant tragi-komödiantische Einstieg und die Karikatur einer geldfixierten, empathielosen, infantilen Small-Talk-Gesellschaft mit Statussymbol-Vergnügungen (Pferderennen, Autos, Kurztrips).

Das ist zeitlos inszeniert, auch weil sich unbemüht Parallelen zur heutigen Manager- und Kir-Royal-Welt herstellen lassen. Auch die Kostüme – wie Daisys „kleines Weißes“ mit rosa Federapplikationen, Gatsbys Dreiteiler oder Toms casual Polo-Sportlichkeit – gehen heute auf jeder neokonsevativen Edelparty durch.

Die Bühne ist als offener Kubus in der Mitte elegant-minimalistisch, so dass man die mattierte Plexiglasplatte, die von der Decke hängt, als Designer-Couchtisch oder Hollywoodschaukel hernehmen kann.

Auch die eigentlich geheimnisvolle Figur Gatsby ist verdichtet. Denn Max Wagner zeichnet ihn klar als zwanghaften Emporkömmling, der glaubt, dass man mit Geld alles bekommt – sogar seine große Liebe zurück: Daisy (Constanze Wächter), die sich leider mit Tom (Pascal Fligg) verheiratet hat – um ihrem „Leben eine Form zu geben“, eine vermeintlich sorglos geldige!

Karaca hat sich mit seiner Dramaturgin Katja Friedrich bei der Dramatisierung des Romans oft witzige Freiheiten genommen, ohne zu verwitzeln. In einem männlichen „Schwanzvergleich“-Abchecken, bei dem Gatsby und Nick zusammen, aber gegeneinander Klimmzüge machen, prüft Gatsby Nick auf die Möglichkeit einer Männerfreundschaft. Dabei ruft der „große Gatsby dem „kleinen Nick“ Begriffspaare zu. Der muss sich blitz-spontan für die richtige Seite entscheiden: für Jazz gegen Blues, für Krieg gegen Frieden, für Hemingway gegen Fitzgerald (haha). Machtgewohnt duldet Gatsby dabei keinen Widerstand.

Bei aller Plakativität sind es viele Regieeinfälle, die der Inszenierung Geist geben, so wenn Gatsby mit Daisy tanzt und sie vom Boden hebt, dass sie wie eine Puppe umhergeschoben wird. Und nach einem tödlichen Autounfall-Knall dinnieren die Reichen und Schönen kanibalisch kalt das Fleisch des armen Opfers.

Dass der erschossene Gatsby aufersteht und mit Nick noch einmal bei Null anfangen könnte, ist allerdings eine überflüssige, erfundene Schluss–Pointe. Aber der verdichtete, nur 80-minütige Abend mit dem dynamisch jungen Ensemble hat Witz, Eleganz und Schwung.

Volkstheater: morgen und 28., 29.10. sowie 6., 17., 29. und 30.11., 20 Uhr, Tel. 523 46 55

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