Doppelpremiere im Nationaltheater durch Buhrufe unterbrochen: An Jonas Kaufmann lag es nicht
Rache ist bekanntlich ein Gericht, das am besten kalt serviert wird. In der Neuinszenierung des Doppelabends aus Pietro Mascagnis "Cavalleria rusticana" und Ruggero Leoncavallos "Pagliacci" dauert es zehn Jahre, bis Alfio endlich Genugtuung dafür bekommt, dass ihm Turiddu einst Hörner aufgesetzt hat. Denn Francesco Michelis Inszenierung erzählt die beiden Opern als durchgehende Handlung: Aus Turiddu wird Canio, aus Alfio im zweiten Teil Tonio. Und der bringt seinen alten Rivalen 1970 fern von Sizilien in München um.
Das kann man nicht nur so machen, es funktioniert auch jenseits einiger hektischer Zeitsprünge am Ende von "Cavalleria rusticana" und etwas wackliger Psychologismen ganz gut. Aber die praktische Ausführung krankt daran, dass nur Wolfgang Koch durchgehend besetzt ist, während Jonas Kaufmann auf den Turiddu verzichtet und nur als Canio auftritt.

Daher stellen im Prolog zu "Pagliacci" Doubles die Zusammenhänge her. Das ist eine Krücke, und es rückt Tonio auch unangemessen in den Vordergrund. Zudem hört man jedem hohen oder lang gehaltenen Ton an, dass die großen Wagner-Partien an Kochs Bariton nicht spurlos vorübergegangen sind. Ein Hörgenuss ist das nicht, und an darstellerischen Zwischentönen fehlt es auch.
Die Regie übertreibt es mit der Deutlichkeit
"Cavalleria rusticana" spielt eher stilisiert auf einer Scheibe, die in der zweiten Oper verwandelt zurückkehrt. Damit es auch der Begriffsstutzigste versteht, wird gefühlt 100-mal darauf hingewiesen, dass Santuzza von Turiddu ein Kind erwartet. Yulia Matochkina singt und spielt diese schwangere Norn eher erratisch. Auch Ivan Gyngazov ist ein eher hartstimmiger Tenor slawischen Typs, der vom sizilianischen Wein noch nicht gekostet hat.

Weil sich der Dirigent Daniele Rustioni an den Tempi der langsameren der beiden Aufnahmen unter Leitung des Komponisten orientiert, sind die beiden Duette vor dem Intermezzo sinfonico im ersten Teil eine ziemlich zähe Angelegenheit. An dieser Stelle wurde die Premiere durch rüde Buhs unterbrochen, deren Zielrichtung unklar blieb. Immerhin erwachte Ivan Gyngazov danach aus seinem Phlegma. Sein solides Material ließ plötzlich Schmelz hören und der Abschied von seiner Mutter gelang ihm mit mehr Ausdruck.

Die wurde von Rosalind Plowright dargestellt. In Covent Garden könnte das eine sinnvolle Besetzung für diese kleine, aber wichtige Rolle der Lucia sein. In München ist diese Künstlerin nur selten aufgetreten und daher ohne jede Aura, auf die es in einem Haus ankäme, in dem Astrid Varnay in dieser Rolle zu erleben war.
Mehr Feuer im zweiten Teil
Italienisches Feuer loderte erst nach der Pause – dank Jonas Kaufmann. Sein baritonaler, dunkler Tenor passt gut zum Canio. Kaufmann schöpfte aus dem Vollen seiner Möglichkeiten und seines Ausdrucks. Es ist allein sehenswert, wie er in "Vesti la guibba" den Moment der Erkenntnis spielt, dass sich Tonio, mit dem er sich versöhnt glaubte, sich doch an ihm rächen will. Und er macht ohne Heldenjammergeschrei aus dem Stück die Tragödie eines alternden, verlassenen Mannes, der auf den Zusammenbruch seiner Welt mit Gewalt reagiert.

Dafür bräuchte es das große Drumherum mit Eisenbahnwaggons, einer Küche, dem Jahrhundertspiel der Fußball-WM von 1970 in Mexico und der Commedia-dell’arte-Show in einem italienischen Restaurant nicht wirklich. Aber es ist fraglos hübsch und nostalgisch anzusehen.
Die darstellerisch vergleichsweise unbewegliche Ailyn Pérez singt eine dramatische Nedda, der das Vogellied nicht wirklich liegt. Thomas Mole lässt als Silvio mit einem schönen lyrischen Bariton aufhorchen. Andrés Agudelo sprang tapfer als Tonio ein. Und der im ersten Teil recht uniform kostümierte Chor (Ausstattung: Edoardo Sanchi, Daniela Cernigliaro) durfte bei der Darstellung von Einheimischen und Gastarbeitern viel Spielfreude zeigen.
Schnell hingehen - der Dirigent ist bald weg!
Die Begeisterung hielt sich am Ende in Grenzen. Der sich am Pult restlose verausgabende Dirigent warf Küsschen ins Bayerische Staatsorchester. Daniele Rustioni lädt die Musik von Mascagni und Leoncavallo fern jeder Trivialität mit großen Emotion und großer Bedeutung auf. Dass beim Durchdenken jeder Phrase vor allem vor der Pause manches zu langsam wird, muss man in Kauf nehmen. Aber der Ernst der Auseinandersetzung mit diesen eher als zweitklassig verschrien geltenden Opern nimmt für sich ein. Es ist – neben Kaufmann – das Interessanteste an diesem nicht restlos überzeugenden Abend.

Außerdem scheint sich diese Mühe kaum zu lohnen. Rustioni, vom Intendanten Serge Dorny einmal als Erster Gastdirigent angekündigt, wird noch in diesem Jahr durch zwei andere Dirigenten ersetzt, mit denen diese musikalisch sorgfältig einstudierte Aufführung mit interessanten Gästen durch die gnadenlose Mühle des Repertoires gejagt wird. Dabei bräuchte es in München dringend einen erstklassigen Mann wie Rustioni, der kontinuierlich an Werken arbeitet, die den Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski nicht interessieren.
Wieder am 25. und 29. Mai sowie am 1., 4. und 12. Juni im Nationaltheater, Restkarten
- Themen:
- Jonas Kaufmann