Iván Fischer: Mit dem BR-Symphonieorchester auf Tournee in Spanien

Mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks auf Tournee in Spanien: Dirigent Iván Fischer erzählt von seinen Eindrücken.
Marco Frei |
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Iván Fischer - hier im Gespräch mit Musikern auf einer Probe - sprang für den erkrankten Zubin Mehta ein.
Iván Fischer - hier im Gespräch mit Musikern auf einer Probe - sprang für den erkrankten Zubin Mehta ein. © Astrid Ackermann

München - Was macht ein Dirigent, wenn er auf einer Tournee im Zug sitzt? Kaffee trinken und Schach spielen. So hält es jedenfalls Iván Fischer. Der auch in Berlin lebende Dirigent aus Ungarn tourte jetzt mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks durch Spanien. Auf den Zugfahrten zwischen den Städten – nur möglich dank eines vorbildlich ausgebauten Hochgeschwindigkeitsnetzes – spielte er notfalls auch gegen sich selbst.

Auf die Dauer taugt das freilich wenig. Für die Fahrt von Madrid nach Zaragoza hatte Fischer einen ebenbürtigen Mitspieler: Radoslaw Szulc. Der Konzertmeister des Orchesters hatte ein Schachbrett griffbereit. Die Liebe für Schach teilt Fischer auch mit dem 2019 verstorbenen Chefdirigenten Mariss Jansons.

Iván Fischer: Tournee mit Pannen

Ob er bereut, dass er diese Tournee zugesagt hat und für den erkrankten 86-jährigen Zubin Mehta eingesprungen ist? "Nein, ich springe gerne. Ich bin ein Springer!", erwidert Fischer. "Ich hatte eine fantastische Woche, sehr angenehm und freundlich die Atmosphäre, ein ganz besonderer, fantastischer Klangkörper."

Verspätung wegen der Berliner Klimakleber

Diese Bilanz zieht Fischer in seiner Garderobe nach der Anspielprobe in Zaragoza, der Endstation der BR-Tour durch Spanien – ganz ohne seinen typisch trockenen Humor. Seine Worte sind erstaunlich, denn: Der Start dieser Tournee verlief alles andere als reibungslos. Weil sich Klimaaktivisten auf das Rollfeld des neuen Berliner Flughafens geklebt hatten, trudelte Fischer mit reichlich Verspätung in Valencia, der ersten Station, ein.

Ein Posaunist des BR-Symphonieorchesters spielt sich für Mahlers Symphonie Nr. 5 im Konzertsaal von Barcelona ein.
Ein Posaunist des BR-Symphonieorchesters spielt sich für Mahlers Symphonie Nr. 5 im Konzertsaal von Barcelona ein. © Astrid Ackermann

Wegen Mehtas Absage standen überdies zuvor die ersten zwei Konzerte der Tournee auf der Kippe. In Spanien, zumal in Valencia, ist der ehemalige Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper eine Legende. Am Opernhaus in Valencia hatte Mehta bis 2014 das "Festival del Mediterrani" verantwortet.

Fischer: "Für mich hat Zubin Mehta die Gabe, dass er das richtige Tempo trifft" 

Selbst die Mehta-Jubel-Presse vor Ort musste am Ende einräumen, dass Fischer nicht einfach ein Ersatz war, sondern ein "Glücksfall" und "Gewinn". Fischer selber möchte das so nicht stehenlassen. Er habe nicht gezögert, als die Anfrage kam: auch wegen Mehta.

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"Seine künstlerischen und menschlichen Qualitäten, die Loyalität, seine Erscheinung im Musikleben: Ich habe größte Achtung für ihn", so Fischer – obwohl beide künstlerisch ziemlich auseinander liegen. "Ich finde das nicht", erwidert er und nennt als Beispiel die Frage der Tempi. "Für mich hat Zubin Mehta die Gabe, dass er das richtige Tempo trifft." Auch bei Gustav Mahler, dessen Symphonie Nr. 5 programmatisch einen herausragenden Schwerpunkt dieser Spanien-Tour bildete? "Meistens, das kann ich nicht pauschal sagen – eher im Allgemeinen."

Es liegen Welten zwischen Fischers und Mehtas Mahler-Exegese. Während Mehta die Tempi eher gedehnter und getragener nimmt, im Klangbild sich ins Horizontale ausbreitend, gestaltet sie Fischer in der Binnenstruktur insgesamt straffer und fließender. Alles strebt in die Vertikale, in die Höhen und Tiefen dieser Musik, ohne jedoch einem hohlen Effekt-Kommerz zu verfallen – glasklar seziert Form und Gehalt. So klingt Fischers Mahler in den Aufnahmen mit seinen Budapestern, und so war das jetzt auch in Spanien mit den Münchnern.

Höhepunkt für das BR-Orchester in Spanien

Ein besonderer Höhepunkt wurde das Konzert im Palau de la Música Catalan in Barcelona. Dieser von Lluís Domènech i Montaner entworfene 1908 eröffnete Saal ist vor allem eine viel fotografierte Sehenswürdigkeit: für manche ein echter Hingucker, für andere eine überkitschige Ansammlung von Scheußlichkeiten.

Die Jugendstil-Ornamentik im Palast der katalanischen Musik.
Die Jugendstil-Ornamentik im Palast der katalanischen Musik. © Astrid Ackermann

Nicht besser die Akustik: Sie eignet sich allenfalls für Kammermusik oder kleiner besetztes Orchester, nicht aber für eine riesenhafte, klanggewaltige Mahler-Maschinerie. Die Anspielprobe war eine Prüfung, das Konzert ein Großereignis.

Fischer kryptisch: "Von München aus ist Budapest nicht viel weiter weg als Wien"

Für Pep Gorgori, ein führender Musikkritiker Kataloniens, Autor von "Diario ABC", "Catalunya Música" und des RNE-Radios, grenzte die dynamisch-klangliche Balance und Transparenz an ein Wunder. "Die Ausgestaltung der Höhepunkte, die Präzision der Artikulation in ihren Akzenten und Betonungen: wirklich toll, wie dieses Orchester mit Mahler geklungen hat!"

Tatsächlich hatte man bei den Mahler-Aufführungen in Spanien den Eindruck, dass sich Fischer ähnlich wohl und befreit fühlt wie mit seiner eigenen Budapester Truppe.

Im Gespräch äußert sich Fischer hierzu kryptisch und gleichzeitig eindeutig. "Von München aus ist Budapest nicht viel weiter weg als Wien. Von Wien aus liegt die eine Stadt östlich, die andere westlich, das ist der Unterschied. Es gibt viel Wiener Folklore bei Mahler. Die muss man erkennen und mit der notwendigen Freiheit ausführen. Für dieses Orchester ist das kein Problem."

So viel Lob tut gut und not. Ob die Auswirkungen von Pandemie und Krieg, die von Markus Söder verordnete "Denkpause" in Sachen Konzertsaal oder die Debatte um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk: Das BR-Symphonieorchester hat schon bessere Zeiten erlebt.

Fischer kennt das Orchester gut. Hat er Unsicherheiten oder Druck gespürt? "Nein, im Gegenteil: Es kommt viel Initiative. Sie freuen sich, wenn viel von mir kommt. Hier gibt es Teamgeist und trotzdem starke, wunderbare Persönlichkeiten – und ein Interesse, besser zu werden. Der Weise will lernen, der Idiot nicht. Dass man aufgeschlossen ist für neue Ideen, genau das ist für mich der Beweis für höheren Intellekt. Das gibt es nicht in vielen Orchestern."

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