Isolation auf der Isola
"Immer stirbt die Kunst zuerst", so heißt es in "Isola" von Philipp Löhle. Eben diese schmerzhafte Wahrheit der Pandemie musste die Uraufführung am Staatstheater Nürnberg am eigenen Leib erfahren. Schon im Dezember sollte sie stattfinden, pandemiebedingt wurde Jan Philipp Glogers Inszenierung von Sami Bill, der auch für die Videos verantwortlich zeichnet, in einen Theaterfilm verwandelt.
Corona als versteckte Inspiration
Dementsprechend wird das Motiv der Isolation durch die Pandemie aufgegriffen und in die Epoche des Biedermeier gesetzt, die ebenfalls für ihren Rückzug in die Privatsphäre bekannt ist. Die Inspiration? Corona – jedenfalls versteckt. Die Gäste eines jungen Grafen isolieren sich nach dem plötzlichen Fund einer Leiche und verbarrikadieren sich vor "dem Fremden", das scheinbar keinen Halt vor dem Morden macht. Und dann?
Gefangen in einem nahezu leeren Raum mit sieben weiteren Personen. Eingesperrt. Isoliert. Unter ihnen sind eine Medizinerin (Stephanie Leue) und ihr missgelaunter, meckernder Sohn, ein Medium, der Gastgeber und Schlossherr Wilhelm Friedrich von Munk (Tjark Bernau), sein Butler und ein kleines, aber alt aussehendes Mädchen (Annette Büschelberger).
Der Tod hängt wie ein Schatten über dem Stück
Doch schnell ahnen sie, dass sie nicht alleine sind: Ganz unbemerkt beginnt auch der Tod mitzuspielen. Als Figur taucht er keineswegs auf, zumeist werden die Toten nicht einmal durch SchauspielerInnen verkörpert, eher wie ein Schatten hängt er über dem Stück, dann, wenn das Licht dunkel wird, dann, wenn Schreie einen bis aufs Mark erschüttern und dann, wenn die Angst und Verzweiflung durch den Bildschirm hindurch den ganzen Raum einnehmen.
Als erstes krallt er sich den Poeten, danach den italienischen Barbier, dem man nicht zu Hilfe kommen wollte. Dennoch ist die Gefahr für die Feiernden noch immer fern und nicht greifbar, denn beide Todesfälle ereignen sich nur hinter der Bühne und in das eigene Erleben ist das Leid noch nicht vorgedrungen. Nichtsdestotrotz versetzt dieses nicht greifbare Etwas nicht nur Wilhelm Friedrich, sondern auch die anderen in Sorge, da es draußen tötend sein Unwesen treibt.
Die Figuren verfallen in innere und äußere Verwahrlosung
Es dauert nicht lange, bis diese Situation die scheinbaren InselbewohnerInnen an die Grenzen ihrer psychischen Belastbarkeit bringt: Das Wort "Isola" bedeutet im Italienischen "Insel" – oder ist nur die Abkürzung für "Isolation".
Je länger das Stück dauert, desto mehr verfallen die Figuren in eine innere und äußere Verwahrlosung: Ihre Haare sind zerzaust, die Bärte der Männer wachsen, die unbequemen Kleider werden ausgezogen. Sie verlieren den Halt und die Kontrolle über ihr Leben, das sie außerhalb des Raums führen.
Ständig bewegt sich das Stück zwischen Biedermeier und Gegenwart: Am Ende fährt eine U-Bahn durch das alte Schloss und die Medizinalrätin stülpt eine silberne Daunenjacke über ihr prunkvolles Kleid. Geradeso wie das Stück mal die alte biedermeierliche, mal die Gegenwartssprache trägt. Einerseits wirkt das Stück sehr hochgestochen und gezwungen altmodisch inszeniert, andererseits beleidigen die Figuren sich gegenseitig modern primitiv.
Inszenierung reflektiert die derzeitige Corona-Situation ästhetisch
Ebenso lässt der tobende Wahnsinn die Figuren lächerlich und unerreichbar erscheinen. Diese entwickeln sich zu Stereotypen: zum esoterischen Querdenker, zur ratlosen Vertreterin der Vernunft und dem rabiaten Liebhaber der Ordnung. Oder sie fallen der Panik der anderen zum Opfer, wie das alte Mädchen Flora, das von seinen Mitisolierten kurzer Hand gefressen, gewissermaßen überrannt, wird, um später wieder auferstehend aus einem Kokon zu schlüpfen.
Die Inszenierung reflektiert die derzeitige Corona-Situation ästhetisch und bringt ihre Abgründe aus purer Verzweiflung ebenso wie die kurzen Lichtblicke und Momente der Harmonie lebendig auf den Bildschirm.
Man klappt den Computer mit einem mulmigen Gefühl im Magen zu, da man sich selbst fragt, wie gut die eigene Psyche mit der wochenlangen "Isolation" zurechtkommt und ob einen das gleiche Ende erwarten würde, das die Protagonisten schonungslos ereilt hat.
Und irgendwie passt es doch, dass nicht nur das Stück, sondern auch die Uraufführung von der Pandemie, die man beim Betrachten keine Sekunde verdrängen kann, geprägt wurde.
Letztendlich ist die Kunst doch nicht gestorben, sondern ist entpuppt, wieder aufgestanden, was das Staatstheater Nürnberg beweist. Und nun, nach dem Wiederbeginn des Spielbetriebs, wird "Isola" ins Repertoire übernommen.
Wieder am 9., 20. und 26. Juni im Staatstheater Nürnberg. Den Text verfassten Schülerinnen des Gymnasiums Gröbenzell im Rahmen eines P-Seminars.