In der Tiefe schlägt das Herz
Wie dein Herz schlägt. Du bist allein. Tief in der Nacht...“ Aus Kopfhörern bekommt man Sätze von einer wispernden Frauenstimme eingeflößt, wird wie ein Schauspieler mit einer Situation, einer Frauenfigur ausstaffiert – „du trägst dein schwarzes Haar und deine weichen Lippen...“ –, um dann mit verbundenen Augen auf einen Parcours geleitet zu werden, bis hinunter in die Katakomben des Cuvilliéstheaters. Dort warten vier Schauspieler auf den einzelnen Besucher, um mit diesem ein unheimliches, irritierendes, verführerisches Spiel zu spielen.
Die Aufregung des Projekts „Eurydice: Noir Désir“, seine düstere Anmutung liegt schon mal im Mythos und der wahren Geschichte, die Bernhard Mikeska und seine Dramaturgen Alexandra Althoff und Götz Leineweber geschickt verschränken: Orpheus, der die tote Liebe seines Lebens Eurydice in der Unterwelt aufsucht und sie zurückholen will, verschmilzt mit Bertrand Cantat, dem Sänger der Band Noir Désir. Bei einem Eifersuchtsstreit in Vilnius verletzte Cantat im Juli 2003 seine Freundin Marie Trintignant mit mehreren Schlägen und rief fatalerweise für Stunden keinen Notarzt an. Trintignant starb Tage später, woraufhin Cantat versuchte, sich selbst umzubringen. Er wurde wegen Totschlags und unterlassener Hilfeleistung zu acht Jahren Haft verurteilt, im Oktober 2007 kam er vorzeitig heraus. Heuer hat er ein Album mit seiner neuen Band „Detroit“ herausgebracht – Frankreich diskutiert, ob er das darf.
Man kann nur mutmaßen, dass Bertrand Marie ins Leben zurückholen möchte; Marie, die in Mikeskas Projekt mit Eurydice eins wird. Zuerst trifft man auf sie in einem Badezimmer, auf die schwarzperrückte Hanna Scheibe, die einen mit ihrer Verzweiflung, ihrem roten Mund ganz kirre macht.
Die famos couragierten Resi-Spieler müssen alle 12 Minuten auf einen neuen Gast reagieren, haben einen morbid-schönen Text (von Lothar Kittstein) parat. Soll man sprechen, mitspielen herausgehen aus der Zuschauer-Passivität? Der Weg führt in die Tiefen des Cuvilliéstheaters. Durch schattige Gewölbebögen nähert sich Sibylle Canonica, bis sie wie eine groteske Figur aus einem Tim-Burton-Film vor einem steht. Licht und Schatten wie im Film – das Kopfkino, das sich vor den eigenen Augen abspielt, ist Noir gefärbt. Man trifft auf Bertrand, und vielleicht sollte man dem verzweifelt-wütenden, präzisen Guntram Brattia das Bier von der Badewannenkante klauen.
Bevor es nach oben zurück geht, die letzte Begegnung: mit Valery Tscheplanowa, eine hauchzarte, melancholische Eurydice. Da schlägt das Herz erst recht. Beim Hinausgehen schaut der Rezensent, saublöd, zu Eurydice/Valery zurück. Das war’s, Orpheus, du Trottel.
Karten www.residenztheater.de und Tel. 2185 1940. Jeder Zuschauer/Mitspieler bekommt einen festen Termin genannt. Die Vorstellungen im Dezember sind ausverkauft, Karten gibt es für den 15., 16. und 27. Januar (immer ab 17.36 Uhr)
- Themen: