Im Pool des Grauens

Wenigstens das Ensemble Opera incognita serviert zum 100. Geburtstag ein Werk von Benjamin Britten – und landet mit „The Turn of the Screw” im Müllerschen Volksbad einen Volltreffer
von  Christa Sigg

Allein die wasserspeiende Fratze am Beckenkopf hätte man nicht besser erfinden können. Und wer anfangs noch gezweifelt hatte, ob Benjamin Brittens Gespensteroper so einfach vom englischen Landsitz in die Badeanstalt verfrachtet werden kann, musste schnell gestehen: Für „The Turn of the Screw” ("Die Drehung der Schraube") ist das Müllersche Volksbad ein geradezu idealer Spielort.

Mit all seiner neobarocken Eleganz, den Umkleidekabinen, die schnell mal zum intimen Gruselkabinett werden, der eingangs erwähnten Groteske, die nicht zuletzt an die römische Bocca della Verità erinnert, oder den Emporen, die exponierte Erscheinungen in irrem Licht (Jan-Robert Sutter/Mark Noormann) ermöglichen und zugleich Raum bieten für Ernst Bartmanns formidables Mini-Orchester.

Und schließlich ist Wasser ein wunderbar flexibles Element, das fürs Unheimliche, für Un- und Unterbewusstes, Unbegreifliches oder schlicht nicht Greifbares stehen kann. Sigmund Freud winkt aus jeder der 15 Variationen, jeder Phase dieses Zweiakters. Dazu weiß man nie so recht, wer hier Opfer und wer Täter ist, wer wen manipuliert, beherrscht oder – und das ist die komplizierteste wie die eigentliche Crux-Komponente im Plot – wer wen „liebt”.

Zuspitzung am Beckenrand

Die Geschichte um die Waisen Flora und Miles (Sara Dogru und Kilian Sicklinger), nach denen eine dämonische (Missbrauchs-)Vergangenheit greift, kreist in Andreas Wiedermanns Inszenierung grandios sich zuspitzend um den Beckenrand. Der Abgrund ist allzu nah. Das muss auch die hübsche junge Gouvernante (die umwerfende! Katharina Ruckgaber) bald feststellen. Denn über ihren vermeintlichen Engelchen hängt ein Fluch: der Tod des letzten Erzieherpaares.

Und wenn Quint (beklemmend prägnant: Bonko Karadjov) und die von ihm verführte Miss Jessel (Susanna Proskura) mit leblos bleichen Augen förmlich aus dem Jenseits – auftauchen–, dann bekommt das im Pool noch kühlen Extra-Schauder. Befördert vom hallenden Klang, der im Volksbad zwischen Kathedrale und Gruft pendelt. Eine Herausforderung für die 14 Musiker und erst recht für die Sänger.

Doch das Gros bezwingt die schwierigen Räumlichkeiten, rennt, schwankt, geh-stöckelt (Reinhild Buchmayer als Mrs. Grose) nebenbei sogar auf den nassen Fliesen. Nur beim zusätzlich eingefügten, dramaturgisch hilfreichen Chor vermisst man zwischendurch die Präzision. Aber schwimmend zu singen, ist an sich schon rekordverdächtig.

Müllersches Volksbad, 4., 5., 6., 8., 10. & 11. September 2013, 20 Uhr, Karten unter Tel. 0151/ 15 80 90 91

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