Kritik

"Hoffmanns Erzählungen" im Gärtnerplatztheater: Zwischen Kitsch und Geschmack

Die Oper "Hoffmanns Erzählungen" von Jacques Offenbach in einer Inszenierung von Stefano Poda im Gärtnerplatztheater.
| Robert Braunmüller
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen
Anna-Katharina Tonauer, Camille Schnoor und Lucian Krasznec (sitzend) am Beginn des Venedig-Akts in "Hoffmanns Erzählungen".
Anna-Katharina Tonauer, Camille Schnoor und Lucian Krasznec (sitzend) am Beginn des Venedig-Akts in "Hoffmanns Erzählungen". © Christian P. Zach

München - Es gibt einen sicheren Weg, dieses von schlampigen Erben und Bearbeitern ruinierte Opernfragment zu retten: die Verwandlung von "Hoffmanns Erzählungen" in eine Gala für einen Tenor und drei Primadonnen. Ein solches Trio hat das derzeit vorzügliche Ensemble des Gärtnerplatztheaters zu bieten - sogar in doppelter Besetzung und mit einem sehr ordentlichen Drumherum an nützlichen Chargen.

Man hält sich bei dieser Neuproduktion von Jacques Offenbachs Haupt- und Spätwerk ohnehin besser an die Musik. Lucian Krasznec singt die Titelpartie mit viel Ausdauer und einer metallischen, mit der Mittellage nicht perfekt verblendeten Höhe. 

"Hoffmanns Erzählungen" im Gärtnerplatztheater.
"Hoffmanns Erzählungen" im Gärtnerplatztheater. © Marie-Laure Briane

Sein Tenor besitzt eine typisch französische Charakteristik, deren bläserhafte Farbe nicht jedermanns Gefühlszentren treffen wird.

Durchhaltevermögen bis zum letzten Akt

Krasznec hat mit der langen, kräfteraubenden Partie keine Probleme und wirkt auch noch bei der letzten "Klein-Zack"-Strophe im fünften Akt frisch. Wenn der Sänger in späteren Vorstellungen noch etwas mehr aus sich herausgeht, kann er ein sehr guter Hoffmann werden.

Die Damen glänzen mit Exzellenz 

Auch die drei von ihm vergeblich geliebten Damen singen exzellent. Ilia Staple singt Olympias Koloraturen gestochen scharf und gleißend. Bei Jennifer O'Laughlins Antonia stimmt die Balance zwischen technischer Virtuosität und emotionalem Tiefgang. Camille Schnoor bringt eine dramatische Dimension hinein. Sie taut ihre von der verwendeten Fassung in eine kleine Schwester von Wagners Kundry verwandelte und von der Regie schockgefrostete Giulietta erotisch wieder auf.

Mathias Hausmann darf als vierfacher Gegenspieler Hoffmanns die (nicht ganz hasenreine und früher in Venedig beheimatete) Spiegel-Arie im Olympia-Akt singen. Das viel eindrucksvollere Couplet mit den schmetternden Hörnern liegt seinem Charakterbariton allerdings mehr.

"Hoffmanns Erzählungen" im Gärtnerplatztheater.
"Hoffmanns Erzählungen" im Gärtnerplatztheater. © Marie-Laure Briane

Chor und Orchester wachsen in die Dramatik hinein

Der Chor wirkt, vor allem in Lutters Keller, allerdings ein wenig dünnstimmig und wacklig. Anthony Bramall und das coronabedingt leicht reduzierte Orchester des Gärtnerplatztheaters fühlen sich in der ersten Hälfte bei den leichteren, im Stil der Opéra comique komponierten Passagen wohl. Aber das ist eine gute Voraussetzung, um langsam in die Dramatik des Antonia- und Giulietta-Akts hineinzuwachsen, was mit Kraft und Energie überraschend gut gelingt.

Aber eine Oper besteht nicht nur aus Musik. Wie viele Regisseure vor ihm empfand auch der Regisseur und Ausstatter Stefano Poda die Gattungsbezeichnung "Fantastische Oper" als Einladung zu einem die Figuren vernachlässigenden Bildertheater. Poda hat ein virtuoses Ballett herumgeschobener Schaukästen choreografiert, die Namen berühmter Sängerinnen und Titel von Erzählungen und Kompositionen E.T.A. Hoffmanns tragen.

Eine Gratwanderung zwischen Geschmack und Kitsch

Die Bühne ist stets in leichten Nebel gehüllt, es gibt acht Olympias und diverse Doubles des Stadtrats Lindorf, die wie Zirkuspferde Püschel auf ihren schwarzen Zylindern tragen. Das porentief weiße Finale ließe sich auch für eine Neuinszenierung der "Zauberflöte" verwenden.

"Hoffmanns Erzählungen" im Gärtnerplatztheater.
"Hoffmanns Erzählungen" im Gärtnerplatztheater. © Marie-Laure Briane

All das schwankt, wie Podas "Tosca" im Gärtnerplatztheater, zwischen Pier Luigi Pizzi und Romeo Castellucci. Oder, weniger insiderhaft ausgedrückt, zwischen Geschmack und prätentiösem Kitsch.

Weil das alles noch pompöser, noch leerer und noch aufwendiger auch in Lausanne und Lüttich zu sehen war, scheint dieses Engagement eine Überzeugungstat des Intendanten zu sein, über die man sich nur wundern kann. Denn was Josef E. Köpplinger selbst am Theater interessiert, findet überhaupt nicht statt: das Emotionale und Menschliche zwischen den Figuren.

Leider kommt irgendwann die Langeweile

Weil nicht nur Olympia, sondern alle Frauen irgendwie Püppchen sind, lässt einen ihr Schicksal und das Leiden Hoffmanns bald kalt. Irgendwann setzt auch Langeweile ein. Hinzu kommt eine schlecht gealterte, sehr schwatzhafte deutsche Übersetzung, in der allen Ernstes die Albernheit vorgeschlagen wird, mit dem Pferd aus Venedig zu fliehen.

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Es ist bockig, aus einer Unlust an der Reflexion und einem naiven Gottvertrauen ins Theaterbauchgefühl die zwar bühnenwirksame, aber seit Jahren überholte Bearbeitung des Giulietta-Akts von Fritz Oeser zu spielen: Mittlerweile existiert eine überzeugende Rekonstruktion des Originals. Die finale, in ihrer Feierlichkeit etwas schale Apotheose ist unverständlich, wenn das zugehörige Gegenstück - der Prolog - fehlt und Nicklausse plötzlich einen Talar trägt.

"Hoffmanns Erzählungen" ist eine Oper, die wie keine zweite ins Gärtnerplatztheater gehört: Sie braucht einen intimen Rahmen und Gefühl für das Leichte. Nach der "Tosca" des gleichen Regisseurs war das leider ein Flop mit Ansage. Es gibt nur einen Trost: Die Inszenierung von Richard Jones in der Staatsoper ist auch nicht besser.


Weitere Vorstellungen am 30. Januar, 6., 8., 24. und 26. Februar

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Ladesymbol Kommentare