Herzhaft verzweifelt und immer schön schräg
Flott, diese Reporterin. Sie saust im Backstage-Bereich und den Büros der Kammerspiele herum, große Brille auf der Nase, Mikro in<CS8.1> der Hand, zwischen Holländisch und Deutsch locker changierend. Auf ihrer Tour überfällt Çigdem Teke auch ihren Chef Johan Simons. Er solle mal was auf Deutsch sagen. Und er beginnt: „Wer reitet so spät durch Nacht und Wind…“
Einen witzigen Kurzfilm hat Teke vor fast einem Jahr gedreht (auf Youtube zu sehen), ein Vorstellungsvideo für das Brandhaarden Festival an der Stadsschouwburg in Amsterdam, wo die Kammerspiele im Frühjahr 2012 eingeladen waren. So, wie man sie hier sieht, das sei schon nah an ihrem Naturell, meint Teke. Die Ironie, das Schräge liege ihr. Die 35-jährige Schauspielerin kann sich aber auch zurücknehmen – und lässt doch oft was von den schiefen Seelenlagen ihrer Figuren durchsickern. Man denke an die verschreckte, leicht skurrile Natalja, die sie in Alvis Hermanis’ hyperrealistischer Interpretation von Gorkis Familienaufstellung „Wassa“ spielt.
Jetzt schlüpft Çigdem Teke in eine der Hauptrollen von „Fegefeuer in Ingolstadt“. Und schaut man sich die Inszenierungsfotos an, wie sie als schwangere Olga da steht, anstaltsweiß das kurze Kleid, böse bieder die Perücke, dann sieht das zurückhaltend, zombiehaft, irgendwie irrsinnig aus. In einem dauerhaften Engpass steckt der Kleinbürger in Marieluise Fleißers erstem Stück, das sie 1924 als 22-Jährige verfasste. Da die Kammerspiele zum 100-jährigen Bestehen einst Gespieltes frisch aufpolieren, kommt nun auch Fleißers Stück zu neuen Ehren. Wobei die düster lodernde Milieuschilderung nie ganz in Vergessenheit geriet, 2005 etwa im Volkstheater zu sehen war<NO1>oder 2010 in einer Züricher Inszenierung.
Nun nimmt sich Susanne Kennedy des Stoffes an; Kennedy, die den Sinn fürs Seltsame mit ihrer Stammschauspielerin Teke teilt. Kennengelernt haben die beiden sich in Holland, wo Teke Schauspiel in Arnheim studierte. Kennedy engagierte sie 2007 für „Elec-tronic City“, ließ sie dann „Hedda Gabler“ am Nationaltheater in Den Haag spielen. In Kennedys erster Münchner Inszenierung, Horace McCoys „They Don’t Shoot Horses, Don’t They?“ 2011 im Werkraum<NO1> der Kammerspiele<NO>, mischte Teke als Show-Girl im Minnie-Maus-Look einen Tanzmarathon auf – und wurde danach ins Ensemble aufgenommen.
Die Frage nach einer Heimat zieht sich durch die Zusammenarbeit Teke/Kennedy, die Sehnsucht nach Geborgenheit, die sich für Olga in „Fegefeuer in Ingolstadt“ nicht erfüllen mag. Olgas Freund will vom Baby im Bauch nichts wissen, die Mutter ist tot, Vater und Schwester geben auch keinen Halt. Man redet aneinander vorbei, in der schroffen Kunstsprache Fleißers. „Es ist so, als ob die Leute auf sich selbst beim Reden blicken“, stellt Teke fest.
So etwas wie kleinbürgerliche Enge habe sie selbst nicht erlebt. Geboren wurde Teke als Tochter türkischstämmiger Eltern in Deutschland, das Elternhaus sei liberal gewesen, nicht unbedingt konform mit der „türkischen Community“. Irgendwie anders halt. „Es kann schon sein, dass ich das Gefühl des Andersseins verinnerlicht habe. In Deutschland sagten die Leute: Ja, die Çigdem, die ist Türkin. Und als ich in Holland war: Ja, die Çigdem, die ist Deutsche. Da merkt man erst, dass Identität im Grunde etwas ist, was von außen auf einen zukommt.“
Dass sie von mehreren Kulturen etwas aufgenommen hat, empfindet Teke als Bereicherung. Zur Vorbereitung auf die „Fegefeuer“-Proben hat sich das Team eine Dokumentation über Marieluise Fleißer angeschaut: „Sie war eine Frau, die aus dem Konzept fiel, es aber nicht schaffte, sich von ihrem Heimatort abzunabeln. Insofern spiegelt Olga ihre Gefühle.“ Die Art, wie Fleißer Machtstrukturen reflektiert, hat Rainer Werner Fassbinder inspiriert, dessen „Katzelmacher“ als Bezug wiederum in Kennedys Inszenierung einfloss. Theater sei für sie Bestandteil des Lebens, meint Çigdem Teke. Und da sie ihre Rollen so herzhaft verzweifelt und schön schräg anlegt, schaut man ihr gern beim Leben zu.
Premiere heute, 20 Uhr, Karten unter Telefon 233 96 600
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