Herz und Verstand
Manche „Tosca“-Dirigenten lieben es brutal und drehen das Orchester bis zum Anschlag auf. Andere verwechseln Puccinis Oper mit einer Symphonie und kehren die Klangrede des Orchesters so sehr hervor, dass der Gesang überflüssig wird. Eine dritte Sorte beschränkt sich auf begleitende Kapellmeisterei.
Unser neuer Generalmusikdirektor gehört zu keiner dieser Fraktionen. Er nimmt von allem nur das Gute: Kirill Petrenko liebt vorwärts drängende Tempi und eine hitzige Dramatik. Er arbeitet selten gehörte Schattierungen präzise heraus. Aber er lässt den Sound nicht überkochen. Wie in der „Frau ohne Schatten“ wurde im ersten Münchner Repertoire-Einsatz des Dirigenten jeder Takt mit Bedacht gewogen, ohne dies als Selbstzweck vorzuführen. Es wirkte alles natürlich, von Herzen und kontrolliert mit dem Hirn. Selten tönte Puccini so erstklassig aus dem Orchestergraben des Nationaltheaters – als wär’s eine Premiere.
Petrenko nahm die Wünsche der Sänger nach einer Verlangsamung des Tempos zur Kenntnis, ohne ihnen übermäßig nachzugeben. Die kleinen Rollen – wie Christoph Stephingers bösartiger Mesner – waren exzellent. Bei den Hauptpartien haperte es: Scott Hendricks ist ein guter Darsteller, aber er singt den Scarpia zu einfarbig. Und seine Stimme ist für das Nationaltheater wohl zu kein. Catherine Naglestadt hat gleißende Spitzentöne, setzte sie aber zu hartstimmig ein und rührte kaum. Massimo Giordano trieb seinen lyrischen Tenor gewaltsam ins Heldische hoch. Zu seinen Gunsten wollen wir annehmen, dass seine Tagesform als Cavaradossi besser sein kann.
Doch alles, was auf der Bühne nicht überzeugte, machte der Orchestergraben ganz und gar wett.