"Heilig Abend" von Daniel Kehlmann - die AZ-Kritik
Das Verrinnen der Zeit kann laut sein, wenn sie im Ticken einer Uhr hörbar wird. Hoch oben über der Bühne des Residenztheaters zeigt sich die Zeit jedoch in einer Digitalanzeige, die zu Beginn auf 22:30 Uhr gestellt ist. Es werden wie im Fußball oder beim Tatort genau eineinhalb Stunden vergehen. Und um Mitternacht könnte eine Bombe in irgendeiner Großstadt explodieren.
Die Minuten vergehen in Thomas Birkmeirs Inszenierung von Daniel Kehlmanns Stück „Heilig Abend“ dank Digitalanzeige lautlos, nüchtern, was für den gesamten Tonfall des Abends zutrifft. Es fehlt zudem jegliche Musik, was sich zur Verstärkung der Spannung anbieten würde, aber das sind dem Regisseur offenbar zu billige Theatermittel. Kehlmann, der in seinem neuen Roman „Tyll“ das Rad der Zeit zurückdreht, um Till Eulenspiegel in den Wirren des Dreißigjährigen Kriegs die Kunst der Täuschung auch als Überlebenstechnik zeigen zu lassen, hat aber nun mal mit seinem dritten Theaterstück einen konzentrierten Krimi geschrieben, womit man schnell beim Boulevard ist, bei Krimibühnen, in denen man sich dieses minimalistische Zweipersonenstück auch vorstellen kann.
Sophie von Kessel als kühle Philossophieprofessorin mit mörderischem Plan?
Für ein Kammerspiel erscheint die weitschweifige Bühne des Residenztheaters aber wenig geeignet. Doch Bühnenbildner Andreas Lungenschmid hat dem Raum die Tiefe geraubt, bringt das Spiel der zwei Darsteller dem Publikum nahe. In dem kargen Verhörzimmer unterstreicht ein Waschbecken mit Spiegel auf der rechten Seite den Eindruck steriler Trostlosigkeit. Hinten hängen Plastikplanen und Milchglasfolien in hohen Fensterrahmen, eine Leiter ragt undeutlich hervor – es ist eine Baustelle, die von Natur aus etwas Transitorisches hat. Es wirkt inoffiziell.
Der Cop Thomas zeigt dazu ein recht freies Verständnis von dem, was an Polizeimethoden erlaubt ist und greift auch zu körperlicher Gewalt, um die Philosophieprofessorin Judith zu einem Geständnis zu bringen. In ihrem Laptop hat die Polizei ein Dokument entdeckt, in dem von einem Attentat die Rede ist. Eine Bombe soll die westliche, andere Länder ausbeutende Konsumgesellschaft wachrütteln. Wobei sie am Heilig Abend gezündet werden soll, damit nur Gebäude, nicht Menschen, die wohl bei ihren Familien sind, getroffen werden. Kollateralschäden sind aber nicht auszuschließen.
Als Gewährsmann für die symbolische Tat dient Judith der französische Psychiater und Philosoph Frantz Fanon, über dessen Hauptwerk „Die Verdammten dieser Erde“ (1961), eine Kampfschrift der antikolonialistischen Linken, sie ihre Habilitationsschrift verfasst hat. Den wissenschaftlichen Brocken wirft Thomas vor ihr auf den Boden und reißt später einige Seiten heraus – ein symbolischer Akt der Gewalt gegenüber der Urheberin. Solche szenischen Verschärfungen gehören zu den Einfällen, die sich Birkmeir leistet. Als verbaler Schlagabtausch bietet Kehlmanns Stück nicht viel Freiraum, aber fordert eine Genauigkeit in der Figurenzeichnung und im Timing.
Michele Cuciuffo wird im Verhör als Polizist nervös
Was insgesamt sehr gut gelingt: Michele Cuciuffo gibt seinem Polizisten eine Härte, die an Vorbilder der US-amerikanischen hard boiled“-Tradition und des französischen Neo-Polars denken lässt. Kehlmann Stück erinnert vor allem an den 1981 von Claude Miller verfilmten Roman „Das Verhör“, der an Silvester in einem Polizeibüro spielt, im Film mit Lino Ventura als Inspektor, der einem mordverdächtigen Notar auf den Zahn fühlt.
In dieser Tradition ist Cuciuffos Thomas ein gewiefter Polizist, der den rauen Charme der Arbeiterklasse ausströmt, aber nicht auf den Kopf gefallen ist. Dass Thomas unter Zeitdruck steht, deutet Cuciuffo nur allmählich an: nervöses Wippen des rechten Beins beim Sitzen, kurze Blicke auf die Armbanduhr.
Dass Thomas gewisse Strategien verfolgt, spielt Cuciuffo gerade nicht offensichtlich für die letzte Theaterreihe, sondern zieht auch fürs Publikum abrupt die Daumenschrauben an. Als er Judith auf ihren Ex-Mann anspricht, der gerade in einem Nebenraum verhört wird, bekommt das Spiel von Sophie von Kessel, die zunächst recht straight die Akademikerin mit Hochstatus gibt, einen doppelten Boden, werden ihre Augen unruhig: untergründige Bewegungen, auch im Staat, dem die Lauschangriffe allzu leicht gemacht werden, weil jeder sein Handy überallhin mit sich trägt.
Es gibt eine Kluft zwischen Theorie und Praxis, zwischen Planung und Ausführung, die ins Private hineinreicht. Deckt Judith, die Philosophin, ihren Ex, den potentiellen Täter? Gibt es überhaupt eine Bombe? Das Stück findet zu einem überraschenden Ende, das so bei Kehlmann nicht steht. Und so gut getaktet das Darsteller-Duo spielt – es gibt da sicherlich Theaterkräfte im Hintergrund, die den Lauf der Zeit manipulieren, so dass der Krimi genau um Mitternacht endet.
Residenztheater, 2., 16. und am 22. Februar, 20 Uhr,Karten: Tel: 2185 1940
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