Grigoryj Sokolov spielt Haydn und Schubert
Wie immer ist das Programm erst spät bekannt geworden, wie immer ist der Herkulessaal pietätvoll abgedunkelt. Und wenn Grigorij Sokolov auftritt, verläuft das verlässlich nach dem ewig gleichen Muster: Schnurstracks und mit gesenktem Blick nähert er sich dem Flügel, eine knappe Verbeugung in den Saal, eine hin zu den Hörern, die auf der Bühne sitzen, dann beginnt ohne Umschweife das Spiel.
Dennoch kann man von keiner Inszenierung sprechen. Im Gegenteil soll die mechanische Choreographie sicherstellen, dass nur die Musik im Vordergrund steht. So darf auch kein Zwischenapplaus die drei Klaviersonaten von Joseph Haydn unterbrechen, die Sokolov im ersten Teil als einen großen Block vorträgt. Konsequenterweise versagt er sich dabei jegliche interpretierende Zutat.
Schubert als Buddhist
Das wird deutlich, wenn man ihn mit dem großen Haydn-Pianisten Alfred Brendel vergleicht, der das kauzige Element des Komponisten hervorhob. Sokolovs Haydn ist dagegen bewusst von aller Charakteristik gereinigt, selbst rhetorische oder empfindsame Stellen in den frühen Sonaten g-moll und h-moll wirken geradezu abstrakt, weil sie so aufreizend gleichmäßig genommen werden. Nie verlässt sich der Pianist auf Schönheit oder Individualität des Tones, der vielmehr zu einem trockenen Staccato tendiert und nur selten, etwa in der späteren Sonate cis-moll, schüchtern silbrig eingefärbt wird.
Da ist es fast überflüssig zu erwähnen, dass auch die vier Impromptus von Franz Schubert D 935 keinen wienerischen Charme entfalten. Selbst leuchtende hohe Girlanden werden in keuschem Regelmaß aufgereiht. Es ist nicht so, dass Sokolov jede Emotion unterdrückte. Er kontrolliert ihren Ausdruck nur derart streng, dass diese ohnehin episch ausgreifendenden Stücke einen erhabenen, ja, stoischen Zug bekommen.
Erstaunlich ist, dass ein so verschlossener Musiker wie Sokolov sich bei den Zugaben stets so großzügig zeigt. Auch an diesem langen Abend bilden die kleineren Stücke unter anderem von Rameau, Chopin und Skrjabin einen regelrechten dritten Teil, bei dem es immer wieder zu stehenden Ovationen kommt. Auch Schubert kommt noch zweimal zu Gehör. Die „Ungarische Melodie“ h-moll D 817 wird, natürlich ohne Zigeunerkolorit, so geduldig ausgesungen, als ob sie – von Buddhisten stammen würde.
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