"Götterdämmerung" in Bayreuth: Auf Krücken gegangen
Am Schluss hat sich Valentin Schwarz in seinem Regie-Notizbuch verblättert und inszeniert auf einmal "Salome": Am Boden des nun abgefuckten, leeren "Rheingold"-Pools, wo Siegfried samt Sprössling in einer Pfütze gefischt hat und wo mittlerweile seine Leiche liegt, verliert Brünnhilde den Verstand und schmust mit Granes Kopf herum. Der war hier ja ein Mensch - und ist von den Gibichungen eher unbemerkt brutal gemeuchelt worden. Brünnhilde legt sich samt Schädel zum toten Siegfried, die kurze Ménage-à-trois aus "Siegfried" ist wieder vereint.
Dem gemeinsamen Ring-Kind bleibt nichts anders übrig, als am Beckenrand tot umzufallen. Warum? Neonröhren beleuchten eine nicht vorhandene Conclusio. Da hilft auch nicht, am Ende als Projektion Embryonen in friedlicher Umarmung zu zeigen, ein kittender Rückgriff auf das "Rheingold"-Vorspiel. Dort waren es Wotan und Alberich - und jetzt?
Brünnhilde: Warum kein Neuanfang als Alleinerzieherin?
Hat Schwarz bei diesem Schluss der Tetralogie die letzte mögliche Abzweigung versäumt? Hätte nicht gerade Brünnhilde es schaffen können, schaffen müssen, ihre Mutterliebe wiederzufinden, die Familienbande hinter sich zu lassen und meinetwegen als Alleinerzieherin mit ihrem Kind einen Neuanfang zu wagen? Zumal das Erlösungsthema ja von Sieglinde stammt, der auch bei Schwarz einzig selbstlos liebenden Elternfigur im ganzen "Ring".
Sprössling? Ring-Kind? Ja, auch Siegfried und Brünnhilde haben hier Nachwuchs, ob Mädchen oder Bub bleibt offen, ist auch egal. Zum Trauermarsch wird das Kind den toten Vater mit Schubsern aufwecken wollen: immerhin ein eindrücklicher Moment. Doch zunächst einmal hängt bei den Eltern am Beginn der "Götterdämmerung" nach etlichen Ehejahren der Haussegen schief. Das Paar reißt sich zusammen, redet sich die von ihm angestrebte Trennung mit ekstatischen "Heil!"-Rufen schön.
Stimmlich eher solide als außergewöhnlich
Stimmlich funktioniert das nur bedingt: Iréne Theorin liefert den ganzen Abend über vorwiegend scharfe, tremolierende Linien ohne Text. Clay Hilley hingegen kann mit etwas breiig-unfreiem, aber belastbarem Tenor einen Erfolg als verlässlicher Siegfried-Einspringer feiern, der als Ersatz für Erstbesetzung Stephen Gould und Cover Andreas Schager aus dem Urlaub geholt wurde. Auf seinen Schultern werden in nächster Zeit wohl einige "Ring"-Aufführungen lasten. Der Rest der Besetzung: eher solide als außergewöhnlich, angeführt von Christa Mayer als Waltraute.
Dabei waren durchaus ein paar starke Bilder in dieser "Götterdämmerung" zu erleben, die am Ende von weiten Teilen des Publikums minutenlang wütend ausgebuht wurde. Andrea Cozzis Bühne, sonst eher auf detailfreudigen Realismus bedacht denn auf mystische Stimmungen, lässt die Nornen alptraumartig aus dem Bett genau jenes Kinderzimmers hervorquellen, an das sich das Wälsungenpaar erinnert hat. Und in der Mannenszene zeigt er, wie von ängstlichen Kinderaugen gesehen, eine von Nebeln umwogte Armee der Finsternis als anonyme Bedrohung. Der Gegenlicht-Effekt mit langen Schatten wird zum Schluss des Mittelaktes variiert, wo Brünnhildes Rachedurst ihre Muttergefühle schon in den Hintergrund rückt.
Die Kinder – der personifizierte Ring
Man erlebt hier also (auch) das Schicksal eines hin und her gerissenen, hin und her geschubsten Scheidungskindes. Schwarz erzählt die Tetralogie als Geschichte einer über Generationen in Schuld verstrickten Familie. Seine zentrale These dabei lautet, die Kinder seien der personifizierte Ring, das Wertvollste, nach dem alle streben würden: als Projektionsfläche, als Platzhalter für Selbstverwirklichung der Eltern, als deren vermeintlicher Besitz, als Druckmittel in Beziehungen - anstatt sie als Individuen zu achten.
Das ist ein wichtiges gesellschaftliches Thema und als Idee diskussionswürdig. Aber dann dürften nicht so erbärmlich viele lose Enden übrigbleiben. Dem Hagen eine Vorgeschichte und konkret auserzählten Grund für seinen Groll zu geben, ist zwar eine sympathisch nerdige Idee und hat etwas von Fan-Fiction - und die in Krimi-Manier ausgestreuten Indizien, die man sammeln und immer wieder neu interpretieren musste auf der Suche nach dem großen Zusammenhang, hielten das Interesse wach. Für die spannendsten Momente sorgte dabei, Hagen in "Siegfried" als psychisch deformierten jungen Erwachsenen zu zeigen, der in Jung-Siegfried kurzzeitig Freund und Vorbild erhält, dann aber von diesem fallengelassen und vergessen wird. Dazu passt Albert Dohmens knorriger Alt-Hagen: Stimmlich wegen fehlender schwarzer Tiefe nicht die Erfüllung, fügt er sich als Typ doch gut ein.
Schwarz verliert den Anschluss zum Original
Aber Schwarz verheddert sich in den eigenen Assoziationen, verliert den Anschluss zum Original. Warum sollte das neue Ring-Kind für Alberich, Hagen oder Gunther eine Bedeutung haben? Was wäre damit gewonnen, es den Rheintöchtern zu geben, die von Nannies zu Grannies geworden sind?
Noch dazu wird Schwarz den eigenen Prinzipien untreu: Die zunächst rigoros entsorgten Machtsymbole wie Speer und Schwert, die er in seinem mafiös-oligarchischen Oberschicht-Setting durch Pistolen ersetzt, muss er teilweise doch wieder einführen - mit der lächerlichen Diskrepanz, dass etwa der Speereid nun auf ein Schwert geleistet wird: Die Klinge war in jener Krücke versteckt, die der Wanderer Mime geschenkt hatte. Dergleichen scheint selbst auf Krücken zu gehen.
"Götterdämmerung" schöpft klanglich aus dem Vollen
Immerhin geriet diese "Götterdämmerung" orchestral zum in Summe stärksten "Ring"-Teil: Klanglich wurde da lustvoll aus dem Vollen geschöpft, allenfalls etwas pauschal, aber zumindest in kontinuierlichem Fluss. Gerade das hatte man zuvor oft vermisst unter Cornelius Meisters Leitung, der für Pietari Inkinen eingesprungen war. Später machte sich jedoch wieder Meisters Hang zur pathetischen Überakzentuierung bemerkbar - zuletzt, vor dem Erlösungsschluss, etwa in der längsten Generalpause seit Menschengedenken (die freilich nicht in der Partitur steht). Anderswo hingegen ging er betont zügig voran, weshalb die Übergänge immer wieder entsprechend knirschten. Das tönte mal oberlehrerhaft, mal wie in juvenilem Rausch ausgekostet - und war insofern vielleicht sogar ein brüderlich umarmter Zwilling der Regie.
Eine Aufzeichnung der Premiere der "Götterdämmerung" ist derzeit noch als Video-Stream bei BR Klassik Concert zu sehen, im Herbst folgt der komplette "Ring des Nibelungen" in der Inszenierung von Valentin Schwarz als Stream auf einer virtuellen Bühne der Deutschen Grammophon
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