Glitzernde Erinnerungskultur: „Play Auerbach“ in den Kammerspielen

Der Vorhang hebt sich, und eine Truppe mit weiß geschminkten Gesichtern tänzelt in Glitzerfädenkostümen über die Bühne. „Uns war es gut zumute“, singen sie und lassen die 1920er Jahre aufscheinen. „Und dann kam Hitler.“ Um alles, was seitdem geschah, soll es an diesem Abend gehen: um den Holocaust, vor allem aber um dessen Aufarbeitung nach 1945, um gelungene oder gescheiterte Erinnerungskultur.
Der israelische Autor Avishai Milstein hat für die Kammerspiele ein Stück geschrieben: „Play Auerbach!“. Der titelgebende jüdische Unternehmer Philipp Auerbach überlebte den Holocaust und wurde nach dem Krieg zum Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte in Bayern ernannt. Er setzte sich für die Belange der Überlebenden des Holocaust ein und wurde schließlich wegen geringfügiger Vergehen von ehemaligen NSDAP-Richtern verurteilt. In der Nacht nach der Urteilsverkündung nahm er sich 1952 das Leben.
Die Premiere ist Teil des umfassenden Programmschwerpunkts „Wohin jetzt?“, in dem sich das Theater mit jüdischem Leben in Deutschland nach 1945 beschäftigt. Milstein verortet die Handlung in München im Jahr 2045. Eine Laienspielgruppe probt eine Revue zur 100-Jahr-Feier der „Befreiung der Konzentrationslager und der Rückkehr jüdischen Lebens nach Deutschland“.
Wenn alles ins Wanken gerät
In Deutschland leben nur noch ein paar Hundert Juden und Jüdinnen. Und diese verhalten sich unauffällig, sind unsichtbar im Stadtbild, wenn man so will. Auf der Bühne der Münchner Kammerspiele wird seit 15 Jahren kein Theater mehr gespielt, Subventionen für Kunst und Kultur gehören der Vergangenheit an.
Auerbachs Wunsch, jüdisches Leben in Deutschland wiederzubeleben und zu normalisieren, ist gescheitert. Von hier aus blickt Milstein zurück in die Vergangenheit der Nachkriegszeit, in der in Deutschland und München alle aufeinander trafen: Gerade-noch-Nazis, Heimkehrer aus dem Exil, Überlebende der Konzentrationslager.

Regisseurin Sandra Strunz kann auf ein hervorragendes Ensemble setzen: Da ist Wiebke Puls, die als Antisemitismusbeauftragte Beate die Verantwortung für diese „öffentliche Probe“ übernimmt. Erinnerungskultur ist ihre „Mission“. Wenn sie gerade nicht mitsingt und -tanzt, setzt sie sich einen paillettenbesetzten „Regiehut“ auf, damit alles seine Ordnung hat und niemand aus der Rolle fällt, auch nicht sie selbst.
Unter anderem treten in der Revue auf: sie selbst als Hannah Arendt, Annika Neugart als Therese Giehse, Johanna Eiworth als Otto Falckenberg und als Justizminister Müller sowie André Benndorff, Edmund Telgenkämper und Martin Weigel in wechselnden Rollen. Sie alle wähnen sich als Experten der Erinnerungskultur, wollen sich auseinandersetzen und alles richtig machen. Aber alles im geschützten Rahmen der Kunst bitte. Dazu kommen Rainer Süßmilch und Philipp Haagen als Live-Musiker, die gleichzeitig Therese Giehses Verbündete Erika und Klaus Mann verkörpern.
„Ein Jude zu sein ist Provokation!“
Als plötzlich Samuel Finzi als Profi-Schauspieler Rafael Kuhn auf die Bühne rumpelt, kommt nicht nur Beate samt ihrem geordneten Konzept ins Straucheln. Kuhn will den Auerbach spielen und ist obendrein ein echter Jude! Damit hat hier niemand gerechnet.

Milstein führt vor, wie gut all die Erinnerungskultur in der Theorie funktioniert und wie schnell alles ins Wanken gerät, wenn sie sich bewähren soll. Dann stolpern alle über Klischees und Vorurteile, bremsen sich mit Überkorrektheit aus und entlarven sich selbst. „Einen Juden zu spielen ist Kunst“, bricht es einmal aus Beate heraus. „Ein Jude zu sein ist Provokation!“
Sätze wie diese bahnen sich an diesem Abend lange an, um dann plötzlich aufzuploppen. Da feilen sie an der Einstimmigkeit des Chors, um die Viel- und Missstimmigkeit der Realität zu übertönen.

Auch wenn der Abend die Spannung nicht die gesamte Dauer über halten kann: Wie sich hier zwischen dem Willen, alles richtig zu machen, und der Angst vor dem nächsten Shitstorm die bittere Realität in die heile Welt der Theaterprobe einschleicht, ist furios. Finzi lässt die beiden jüdische Figuren, Kuhn und Auerbach, verschmelzen zu einer intensiven Studie der Hoffnung und der Ernüchterung.
Milstein hält uns einen Spiegel vor und erinnert an unbequeme Wahrheiten. Wie wir uns feiern als aufgeklärte und tolerante Demokraten, während Antisemitismus und Intoleranz längst wieder auf dem Vormarsch sind. Oder nie überwunden wurden. Wie wir letztlich gescheitert sind an unserem Anspruch. Das dystopische Bild einer Gesellschaft, in der es keine Jüdinnen und Juden mehr gibt, aber eine Antisemitismusbeauftragte, ist ein Weckruf an uns alle.
Wieder am 9., 12., 19. und 26. Dezember im Schauspielhaus