Gib mir die Capri-Sonne

Regisseur Sebastian Kreyer verjuxt im Münchner Volkstheater Ibsens "Gespenster" mit mäßigem Erfolg
von  Gabriella Lorenz

Streichen Sie mir die Wand!", sagt Pastor Manders zum Tischler Engstrand. Und korrigiert sich: „Reichen Sie mir die Hand.“ Mit solchen platten Kalauer-Versprechern überzieht der Pastor die Textversion von Henrik Ibsens Familiendrama „Gespenster“, das Sebastian Kreyer im Volkstheater inszenierte. Der 34-jährige Regisseur wurde nach seiner Kölner „Glasmenagerie" beim Festival „Radikal jung" von Stückl verpflichtet. Auch Tennessee Williams' Stück hatte Kreyer mit Gags und Slapstick von der Tragödie auf die Komödie heruntergebrochen – aber deutlich subtiler.

Eine schicksalsschwere Tragödie, was sonst? Der an Syphilis dahingesiechte Vater Alving hat seinem Sohn die tödliche Krankheit vererbt sowie den Hang zum Vögeln. Das weiß aber nur die Mama, die Osvald außer Haus gab und ihr Leben der bürgerlichen Ehe-Fassade opferte. Ihren Fluchtversuch wies der geliebte Pastor Manders aus moralischen Gründen zurück. Nun kehrt der Künstler Osvald krank zurück, und Helene möchte ihre Muttergefühle ausleben. Ibsens Kritik an Kirche, Ehe und verlogener Gesellschaft löste 1881 einen so großen Skandal in Norwegen aus, dass das Stück nach der Uraufführung 1882 in Chicago erst ab 1883 in Europa gespielt wurde.

Fünf Personen suchen eine Tragödie – aber bei Sebastian Kreyer finden sie erstmal die Klamotte. Die Türen in der Hausfassade von Helene Dröll stoßen beim Öffnen auch mal die Horcherin Regine um. Das Dienstmädchen kapiert anfangs gleich mit eindeutigen Beckenbewegungen den Plan ihres Ziehvaters Engstrand für ein „Seemannsasyl“, in dem sie später ihr Geld als Prostituierte verdienen wird. Denn die Heirat mit dem verliebten Osvald zerschlägt sich, weil er leider ihr Bruder und todkrank ist. Kreyer stellt alles überdeutlich aus und versäumt keine Gelegenheit zum billigen Witz: Wenn Osvald bittet: „Gib mir die Sonne“, bringt die Mutter ein Fläschchen Capri-Sonne, das ihr der Sohn dann ins Dekolleté pinkelt. Angepisst werden hier alle: Aus einem Stopfen in der Hauswand ergießen sich auch Pinkelfontänen auf die Darsteller. Und drei davon tragen die Inszenierung auch ein Stück über die Klamotte hinaus.

Ursula Burkhart spielt eine kraftvolle Helene Alving, die bei aller Bitterkeit einen Hang zum lakonischen Sarkasmus bewahrt hat. Ihre Härte lässt einen manchmal sogar an Gorkis „Wassa Schelesnowa“ denken. Max Wagner als der empfindsame Künstlersohn Osvald trägt die scheußlichen langen Unterhosen (Kostüme: Verena Mohrig) halbwegs mit Nonchalance und schafft auch das symbolische Sich-Beschmieren mit roter Farbe ohne allzugroße Peinlichkeit. Wenn die Aufführung in die Tragik abdriften will, heult er mehr Rotz als Wasser, das muss man nicht unbedingt ergreifend finden. Und Mara Widmann gibt der Regine ein sehr frisches, klares Profil einer um jeden Preis lebenslustigen Egoistin. Das hat sie vom betrügerischen Opportunisten Engstrand gelernt, den Pascal Fligg als Knallcharge mit Hinkebein und schielendem Grimassieren spielt. Der Pastor von Oliver Möller sieht mit seinem schwarzen Filzhut aus wie der Boandlkramer – unbegreiflich, dass diese dauerkalauernde Witzfigur einst Helenes Liebes-Hoffnung war. Die beabsichtigte Kurve von der Komödie zur Tragödie schafft die Aufführung mit ihrer Verliebtheit in billige Gags leider nicht. 

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