"Freischütz" in der Bayerischen Staatsoper: Deutscher Wald aus Stehtischen

München - Wenn Ännchen statt des Jungfernkranzes eine Totenkrone aus der Schachtel holt, erzählt uns der allwissende Regisseur auf einer Projektionsfläche über der Bühne, was es damit auf sich hat: um eine symbolische Abrechnung der emanzipierten Frau mit ihrer Freundin Agathe, die sich dem spießigen Eheleben hingeben will.
"Freischütz"-Neuinszenierung von Dmitri Tcherniakov
Das kann man so hindrehen, wenn man die Frauenfreundschaft in Carl Maria von Webers "Freischütz" ein wenig nachpfeffern möchte. Dmitri Tcherniakov macht es sich in seiner Neuinszenierung im Nationaltheater ziemlich leicht, wenn er in Bilder Unübersetzbares einfach mit Hilfe einer Textprojektion erklärt. Das ist so fragwürdig wie eine Erzählstimme im Kino und bleibt hier wie da eine Krücke, mit der sich die Inszenierung nur stolpernd ins Laufen bringt.
Der berühmt-berüchtigte deutsche Wald dieser Oper existiert nur als braune, nierenförmige Allerwelts-Wandvertäfelung, die dem geübten Opernbesucher allzu bekannt vorkommt. Hier herrscht ein Geschäftsmann mit dicker Kapitalistenzigarre, der den Bräutigam seiner Tochter ein wenig trietzen möchte: Max, der wie alle Theaterschwächlinge zur Brille eine Strickjacke mit Krawatte trägt, soll einen zufälligen Passanten auf der Straße abschießen, was er als Menschenfreund nicht schafft.

Gebrochene deutsche Dialoge durch internationale Besetzung
Bálint Szabó leiht dem Kapitalisten zwar den mächtigsten Bass, den je ein Kuno hatte. Aber er muss die Figur leider durch eine lähmend gesprochene Probeschuss-Erzählung verderben. Auch sonst verlockt manch gebrochenes Deutsch zum Wegzappen. Tcherniakov hätte von der Salzburger "Medea" seines Kollegen Simon Stone lernen können, wie sich das Problem gesprochener Dialoge mit einer internationalen Besetzung lösen lässt, aber er hat's leider nicht getan.
Im weiteren - an Klischees nicht armen - Verlauf fragt Max einen achselzuckenden Kellner, ob Gott existiert. Dann wird viel aus einem Flachmann getrunken. Ein Stehtischchen samt Dekoration fällt um, wenn Kaspar seinen beruflichen wie erotischen Konkurrenten Max mit ein wenig Folter und viel Geballere so weit traumatisiert, dass er am Ende seine Braut Agathe erschießt. Weil die Rivalität der Männer zwar im einem Nebensatz des Librettos erwähnt wird, vom Komponisten aber nirgendwo in Musik gesetzt wurde, bleibt sie eine Behauptung, die zur Ouvertüre projiziert werden muss. Es bleibt auch ein wenig billig, das ganze Happy End als Traum in ein Halbdunkel zu verlegen, so dass Max in einem beliebigen Partygast den Eremiten zu erkennen glaubt.

Bayerische Staatsoper: Hervorragender Dirigent und Besetzung
Die Enttäuschung über Tcherniakovs Inszenierung wird von der überwältigenden Besetzung und dem Dirigenten aufgewogen. Antonello Manacorda holt aus dem Bayerischen Staatsorchester unglaubliche Farben heraus, etwa in den Posaunen, die den Klang schärfen und nicht - wie sonst - verdicken. In den sonst läppischen Singspielszenen entdecken die Streicher untergründige Nuancen der Düsternis. Und das alles geschieht ganz unforciert, mit leichter Hand, als habe Felix Mendelssohn Bartholy im deutschen Wald ein paar Pilze mit halluzinogenen Substanzen erwischt.

Auch die Sängerinnen und Sänger verwechseln Weber nicht mit Wagner. Golda Schultz trifft musikalisch die Mischung aus Elegie und Enthusiasmus, die für eine gute Agathe unerlässlich ist. Die Stimme ist beweglich genug für die glückselige Verzückung der Koloraturen, die leicht dunkle Mittellage färbt das "Leise, leise" der großen Arie und die Kavatine mit einer hinreißenden Melancholie. So gut wurde das schon lange nicht mehr gesungen.
Von Rascheln bis Buh-Rufen: Stream des Nationaltheaters ist interaktiv
Schultz' feine Nuancierung und der perfekt zwischen Lyrismus und Heldentum ausbalancierte Max des Pavel Cernoch profitieren auch vom Stream, der manches Detail einfängt, das im übergroßen Nationaltheater verloren ginge. Kongenial zu diesem Paar passt der ebenfalls bei aller Stimmgewalt sehr fein singende Kyle Ketelsen als Kaspar. Man nimmt ihm auch seelische Zerstörtheit eines Söldners ab. Tareq Nazmi orgelt mächtig als Eremit, und auch die kleineren Rollen sind in besten Händen. Nur Anna Prohaska singt ihr emanzipiertes Ännchen ein wenig forciert und mit sehr spitzem Charme.
Die Staatsoper begleitete ihren Stream online mit einer liebevollen Strategie einschließlich Chat und der Möglichkeit, individuell allerlei Geräusche vom Rascheln bis zum Buh-Ruf einzuspielen. Leider fremdelte die Bildregie mit der Dauer-Totale der Inszenierung und ihrem finalen Halbdunkel ein wenig. Und so mag es sein, dass die Inszenierung an Intensität durch den Stream verloren hat, was die musikalische Seite im Detail hinzugewann.
Die Aufzeichnung der Premiere kostenlos als Video-on-Demand auf der Homepage der Bayerischen Staatsoper.