Familiensprünge

Jochen Schölch inszeniert am Metropoltheater das generationsübergreifende und interkontinentale Gesellschaftspanorama „Das Ende des Regens“
von  Matthias Hejny
Wo warst Du, Vater? Eli Wasserscheid, Lilly Forgách und Thomas Schrimm am Familientisch.
Wo warst Du, Vater? Eli Wasserscheid, Lilly Forgách und Thomas Schrimm am Familientisch. © Jean-Marc Turmes

Ganz zum Schluss herrscht Stille. Plötzlich hört der Regen auf. Ein Vater (Thomas Schrimm) und sein 24-jähriger Sohn (James Newton), die sich gerade zum ersten Mal begegnet sind, essen schweigend Fisch.

Bis dahin wurde im groß angelegten Familiendrama viel geredet. Verglichen mit den Monologen und Dialogen in „Das Ende des Regens“ ist das Personal eines Tschechow-Stücks geradezu mundfaul. Aber wie beim Russen geht es auch beim Australier Andrew Bovell um Erkenntnisse, Bekenntnisse und Geständnisse, um Vergangenes, Verdrängtes – sogar um Verbrechen und vor allem um die Enge in der Familie wie in den Köpfen.

Überdosis von gescheiten und hochemotionalen Gesprächen

Der Theaterzettel, den das Metropoltheater für seine Aufführungen ausgibt, ist hilfreich. Er enthält einen Stammbaum über vier Generationen, der es erleichtert, die Übersicht über die 80 Jahre zwischen 1959 in London, Großbritannien, und 2039 in Alice Springs, Australien, zu behalten.
Bovell erzählt nicht chronologisch, sondern springt zwischen den Jahrzehnten und den Kontinenten hin und her. Gelegentlich überlagern sich die Zeiten auch, und die Personen beobachten sich selbst aus der Zukunft heraus oder die bereits verstorbene Verwandtschaft ist zu Gast in der jeweiligen Gegenwart.

Die Überdosis von gescheiten und hochemotionalen Gesprächen bekommt Regisseur Jochen Schölch in den letzten Szenen vor der Pause nicht immer in den Griff. Aber in der zweiten Stunde steigt die bis dahin eher latent gebliebene Spannung. Und am Ende entsteht ein großartiges Gesellschafts- und Geschichtsgemälde als Puzzle vor dem Zuschauer, der schließlich mehr weiß als die handelnden Figuren selbst. Gleichzeitig ist die Symboldichte hoch. Der Fisch, zum Beispiel, der wunderbarerweise vom Himmel fiel, steht für die Zerstörung der Erde, denn 2039 sind Fische fast ausgestorben.

Erzengel und Fische

Zudem war der Fisch das Zeichen des frühen Christentums. Es treten eine Gabrielle und zwei Gabriels auf, weil es der gleichnamige Erzengel war, der Noah den Auftrag zum Bau der Arche gab.
Auch jetzt ist das Ende nah, denn soeben versank bereits Bangladesch in den klimakatastrophalen Fluten.
Bei der Münchner Erstaufführung im Cuvilliéstheater vor sieben Jahren wurde sogar Fischsuppe gereicht. Jochen Schölch aber kann der Versuchung, die göttlichen Zeichen szenisch zu bedienen, erfreulicherweise widerstehen.

Vor dem glitzernden und doch novembergrauen Lamettavorhang, mit dem Bühnenbildner Thomas Flach den Begriff des „Schnürlregens“ wörtlich nimmt, macht der Metropoltheater-Prinzipal ganz unaufgeregtes und doch eindringliches Schauspielertheater mit hoher Aufmerksamkeit für die Figuren. Vor allem die Oma-Mutter-Tochter-Gespanne beeindrucken: Eli Wasserscheid und Lilly Forgách als Elisabeth Law, Jahrgang 1932, sowie Vanessa Eckart und Dascha von Waberer als Gabrielle York, geboren 1963.    

Metropoltheater, Floriansmühlstraße 5 (U-Bahn Freimann), im gesamten Oktober, immer 20 Uhr (sonntags 19 Uhr), Tel: 321 955 33

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