"Fack Ju Göhte - Se Mjusicäl": Die Kritik zum Musical in München
München - Gleich zu Beginn löst Hochstapler-Hardcore-Leher Zeki Müller nicht etwa Feueralarm aus! Nein, es ist "Amok-Alarm", wie es im Kasernenhofton die Durchsage von Rektorin Gerster ausruft. Ein Kurzschluss mit Stroboskop-Lichtblitzen und die Goethe-Gesamtschule versinkt im Dunkel, das aber sofort durch Blaulicht-Wirbel und Martinshorn aufgemischt wird. Und schon ist klar: "Se Mjusicäl" schlägt dynamisch, witzig und kompakt neue Töne an im vorgegebenen "Fack ju Göhte"-Erfolgskosmos mit 20 Millionen Kino-Zuschauern.
Kein um Musik erweiterter Aufguss des ersten Kinofilms
"Heul leise, Chantal!" Ja, der zum Klassiker gewordene Satz des super-coolen Aushilfslehrer zur Proll-Schülerin fällt auch in der musikalischen Version. Aber "Se Mjusicäl" ist kein, nur um Musik erweiterter Aufguss des ersten "Fack, ju, Göhte"-Films. Das Musical ist ein gleichwertig neben dem Film stehendes Meisterwerk, das emotional sogar den Film toppt! Das liegt auch an der packenden Musik zweier Profis: von Nicolas Rebscher, der schon für Adel Tawil oder Alice Merton komponierte und Simon Triebel, der von Udo Lindenberg, Tim Bendzko bis Juli viele mit Hits versorgte.
Die Musik in "Fack ju, Göhte – se Mjusicäl" spielt auf der ganzen Klaviatur: Sie beginnt mit völlig unkitschiger Sentimentalität – so wenn die junge Laura ihren Teenie-Schmerz besingt, wo sich "Ich will weg von hier" psychologisch klug auf "weg von mir" reimt. Aber für Weichheit ist im Leben der Horror-Klasse 10b wenig Platz: "Die Wahrheit ist, ihr seid der Welt egal", sagt Aushilfslehrer Zeki Müller zu Danger, Zeynep, Burak und Jerome. Und so hardrockt der Song "Schule ist Amok" thematisch durch das Stück wie auch das wiederum balladige "Endlich frei" – was Zekis Zeit nach dem Knast genauso beschreibt wie den Teeniewunsch nach Selbstbestimmung und Freiheit vom Leistungsdruck. Unsicherheits-Macho Burak bekommt einen echten Gangsterrap, Streber Jerome darf michael-jackseln und das Klassenvorstellungs-Medley ist ein geniales Kurzpsychogramm einer Gesamtschüler-Generation in der Geisterbahn der Lebensperspektiven.
So könnte es sein, dass die Musik des Musicals selbst zu echten Schulhof-Hits wird, weil sie junge Lebensgefühle trifft, ohne Untergangsstimmung zu verbreiten – wie beim Schwimmunterrichts-Song "Spring ins kalte Wasser", was das Schulbecken genauso meint wie das Leben.
"Romeo und Julia" Inszenierung als einer der Höhepunkte
Was dieses Musical genauso gelungen wie der Film beherrscht, ist die elegante Balance aus Erwachsenenwelt und Jugendleben, aus Gesellschafts- und Bildungssatire. Nach dem überraschenden Blockbuster-Erfolg von "Fack ju, Göhte" vor vier Jahren musste Regisseur Bora Dagtekin völlig blank schnell einen Folgefilm basteln und fragte einfach die Filmfans, was sie sehen wollten. Die Antwort war: mehr romantische Komödie! Das Musical erfüllt diesen Romcom-Wunsch. Nach Müsli- und Tee-Kotze durch K.O.-Tropfen und intelligenten und wortwitzigen Irrungen-Wirrungen gelingt der überambitionierten, etwas verklemmten Referendarin Schnabelstedt auch die erotische Chakra-Öffnung hin zu Kollegen Zeki Müller.
Und als die Schultheater-AG "Romeo und Julia" als ernste Komödie aufführt, ist das einer der vielen Höhepunkte der Inszenierung von Christoph Drewitz. Denn in diesem klassischen Liebesmotiv wird vieles zusammengeführt: der hier genial durchgerockte Klassiker von William Shakespeare, aktuelle Teenieliebe und die Hoffnung des Zuschauers auf ein gutes Ende.
"Se Mjusicäl" ist dabei weder infantil noch albern, sondern einfach intelligent und amüsant. Das liegt an dem überbordenden, nie peinlichen Witz der Dialoge, die Autor Kevin Schröder unabhängig vom Filmdrehbuch treffend und dicht geschrieben hat. und das extra für das Musical gebaute, neue Werk 7 Theater ist ein cooler Glücksfall für München und die Entwicklung des Werksviertels, wo in direkter Nachbarschaft ja auch der neue klassische Konzertsaal entstehen wird.
Dass dieses freche, lässig-ernste Gesamtkunstwerk aus der Enge der Bühne packende Kompaktheit gewinnt, die dadurch noch gesteigert wird, dass die 700 Zuschauer ganz nah am Geschehen sitzen, macht das Musical zu einem Intensiverlebnis. Am Ende kann auch keiner mehr sagen, dass in Deutschland schwer Darsteller zu finden sind, die gleichzeitig tanzen, singen und schauspielen können. Die Choreografie von Frederik Rydmann verlangt körperakrobatische Höchstleistung.
So schaut auch niemand während der zwei Stunden auf sein Handy! Aber das hatte Rektorin Gerster ja mit einer harten Duchsage ohnehin verboten.
Täglich, Werk 7 Theater im Werksviertel, Speicherstraße 16 (beim Ostbahnhof, Friedensstraße), Karten: 30 – 86 Euro, Tel. 01805 4444, www.fackmusical.de
Das AZ-Interview mit dem Hauptdarsteller des Musicals finden Sie hier
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