"Eine Zierde für den Verein" im Marstall
Eine Autorin blickt auf ihr Werk zurück. Seit dem Herbst 1932 sei sie in Ingolstadt zurück, schreibt Marieluise Fleißer in einem Brief im Sommer 1947. Arbeit gibt es für sie kaum, sie weigert sich "in dem gewünschten Sinn" zu schreiben. Durch Kritik lässt die Autorin sich nicht aus der Ruhe bringen, sondern findet ihren Roman "Eine Zierde für den Verein" von 1931 selbst "gar nicht so schlecht." Was sie besonders an dem Werk liebt? "Man merkt, dass ihn ein junger Mensch geschrieben hat."
Marieluise Fleißers briefliche Selbsteinschätzung markiert den Beginn von Elsa-Sophie Jachs Adaption von "Eine Zierde für den Verein" im Marstall. Zwei weitere Briefe von Fleißer haben Jach und Dramaturgin Constanze Kargl in ihre Bühnenbearbeitung eingewoben.
So erfährt man, dass die Schriftstellerin ähnlich wie ihre Hauptfigur Frieda Geier eine Liaison mit einem Tabakwarenhändler einging, diesen sogar heiratete und mit dem Schreiben pausierte, weil sie in seinem Laden aushelfen musste.

Im Roman aber zieht Frieda als Mehlvertreterin durch die Provinz, behauptet sich - auf der Bühne nun in der selbstbewusst-energischen Gestalt von Liliane Amuat - in einer Männerdomäne und verweigert gegenüber dem Tabakladenbesitzer und Rettungsschwimmer Gustl Gillich letztendlich die Heirat. Nachdem sie ihm den Ehering zurückgegeben hat, lässt Gustl seinem Hass am Rande eines Sumpfes im Selbstgespräch freien Lauf: "Ich stelle dich vor die Wahl, Frieda. Du wirst mich heiraten oder ich werde dich zurichten, dass niemand mehr etwas mit dir zu tun haben will."
Das Verbindende? Die zunehmend gekränkten Männer
Den Bogen vom charismatisch wirkenden Sportstar zum aggressionsbereiten Verlierertypen, der sowohl mit Frieda als auch mit seinem Tabakladen eine Bauchlandung hinlegt, vollzieht Thomas Lettow ganz souverän und uneitel.
"Vom Rauchen, Sporteln, Lieben und Verkaufen" handelt der Roman, so lautet sein charmant klingender Untertitel. Was die versprengten Handlungsfäden aber vor allem verbindet, ist eine zunehmende Gekränktheit der Männerfiguren, deren Gewaltpotential sich erst allmählich zeigt. So spielt Ensembleneuzugang Thomas Hauser nicht nur den aufstrebenden Kunstspringer Rhi, dem trotz Talents der schnelle Ruhm versagt bleibt, sondern auch den Hilfsarbeiter Scharrer, der nach einem Erpressungsversuch seinen Job verliert und daraufhin ein Bombenattentat auf eine Eisenbahn plant.
Gustl, der Rhi unter seine Fittiche nimmt und dem Bombenleger Scharrer auf die Schliche kommt, lebt indes seine Rachelust nicht an Frieda, sondern an deren jüngerer Schwester Linchen (einnehmend zartfühlig: Vassilissa Reznikoff) aus, die in einem Nonnenkloster aufgezogen wird und dort lesbische Neigungen entwickelt, die von der Klosterleitung (Katja Jung spielt gleich mehrere unangenehme Autoritätspersonen) strikt unterbunden werden.
Wie Linchen von Gustl vergewaltigt wird, zeigt die Inszenierung nicht.Stattdessen wird auf das Rondell, das Aleksandra Pavlovic mitsamt rotem Lamellenvorhang massiv auf die Bühne gestellt hat, heftig krisselndes Fernsehflimmern projiziert.
Ein Brief Fleißers aus dem Jahr 1969 kündet zudem davon, dass sie sowohl diese Szene als auch die antisemitischen Übergriffe auf einen jüdischen Friedhof - Frieda findet dort umgestürzte Grabsteine - überarbeitet hat. Erschien der Roman 1931 noch unter dem Titel "Mehlreisende Frieda Geier", so nannte Fleißer die nach dem Zweiten Weltkrieg aufgefrischte Fassung "Eine Zierde für den Verein". Womit der Fokus von Frieda auf den Vereinssportler Gustl verschoben und laut Fleißers Brief "schon dort sichtbar wird, dass es sich um eine Schilderung vor-faschistischer Verhaltensweisen handelt."
Den Bezug zum Heute muss Elsa-Sophie Jach nicht zwanghaft herstellen, weiß man doch zur Genüge, dass derzeit antisemitische Kräfte wieder stark aufkeimen und autoritäre Alphamännchen en vogue sind. "Es gibt noch Machtmittel des Mannes, die folgenschweren", sagt Gustl und diese Drohung zieht sich bis zum Ende des Abends. Während das Rondell in seinem Inneren zunächst eine Schwimmarena mit stufenartigen, blau abgepolsterten Rängen darstellt, findet in seinem Becken später eine ausgelassene Tanzparty während einer "italienischen Nacht" statt - zuletzt eine wilde Schlägerei.
Und die Frauen kämpfen um ihre Selbstbestimmung
Das Unbehagen, das in Fleißers Roman zu spüren ist, überträgt sich auch in Jachs Bühnenadaption - unterstützt durch die untergründig pulsierende Musik von Samuel Wootton. Im Innern des Rondells nimmt Kameramann Niels Voges immer wieder Live-Bilder auf, die auf den äußeren, je nach Bedarf semi-transparenten Lamellenvorhang projiziert werden und im Zusammenspiel mit dem teils sichtbaren Geschehen im Inneren reizvolle Überblendungen zwischen Aktion und Projektion ergeben.
Der rau-poetischen Prosa Fleißers sind Regisseurin Jach und Dramaturgin Kargl in ihrer klug kondensierten Fassung treu geblieben. Die Figuren sprechen teils von sich in der dritten Person, um nahtlos in den Dialog zueinander zu treten. Das ständige Ineinandergleiten von erlebter und direkter Rede gelingt dem Ensemble hervorragend. Der Sprechduktus ist dabei so überprononciert, die Selbstentfremdung so präsent, dass einem diese Figuren fremd bleiben. Der Abend berührt nicht.

Aber die Männer taugen ja auch nicht zur Identifikation. Stattdessen entpuppen sie sich als lächerlich-bedrohliche Exemplare gekränkter Männlichkeit. Die Frauen hingegen kämpfen um ihre Unversehrtheit und ihre Selbstbestimmung. Ja, man merkt, dass Fleißer den Roman als junge Frau geschrieben hat.
In welchen Abgrund dabei die Jugend gezogen wird, wenn sie in einer "Umbruchszeit" um Arbeitsplätze kämpfen muss, bringt Linchen einmal auf den Punkt: "Sie fallen Gedanken anheim, die wie Keimstoffe in der Luft schwirren und an Anarchie und Verbrechen streifen (…) es schwelt, bald wird es brennen."
Marstall, nächste Aufführungen am 19. und 21. November sowie am 27. Dezember, 20 Uhr, und am 22. Dezember, 19 Uhr; Karten unter % 2185 1940
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