"Ein Volksfeind" von Henrik Ibsen - die AZ-Kritik

Henrik Ibsens Drama "Ein Volksfeind" mit Thomas Schmauser in der Regie von Mateja Koleznik im Residenztheater
Robert Braunmüller |
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Der "Volksfeind" im Residenztheater.
Matthias Horn 3 Der "Volksfeind" im Residenztheater.
Der "Volksfeind" im Residenztheater.
Matthias Horn 3 Der "Volksfeind" im Residenztheater.
Thomas Schmauser als "Volksfeind" im Residenztheater.
Horn 3 Thomas Schmauser als "Volksfeind" im Residenztheater.

Eine schwarze Vitrine dreht sich. Eine Gruppe dunkelgrau gekleideter Menschen in hochgeschlossenen Kostümen des 19. Jahrhunderts drängt sich in diesem Kasten, aus dem es den ganzen Abend über keinen Ausweg geben wird. Und was sie sich drin, überwiegend halblaut, zu sagen haben, wird verstärkt nach draußen übertragen.

Der Gedanke ans sprichwörtliche Glashaus drängt sich auf, in dem besser nicht mit Steinen geworfen wird. In diese Situation manövriert sich der Arzt Stockmann in Henrik Ibsens "Ein Volksfeind": Er findet heraus, dass das verunreinigte Wasser des von ihm mitbegründeten Kurbads die Leute kränker und nicht gesünder macht. Leider widerspricht diese Wahrheit den materiellen Interessen der Kleinstadt. Und so wird er, der ein Wohltäter sein möchte, zur bockigen Nervensäge.

Henrik Ibsens "Ein Volksfeind" führt die Mechanismen eines politischen Skandals vor. Weil einzelne Wendungen nur auf dem medientechnischen Stand von 1882 funktionieren, ist es besser, das Stück in historischen Kostümen der Entstehungszeit (Alan Hranitelj) zu spielen. Denn seine Aktualität teilt sich ohnehin ganz von selbst mit.

Pausenloser Politthriller

Auch in ihrer fünften Arbeit am Bayerischen Staatsschauspiel hat die Regisseurin Mateja Koleznik die Vorlage wieder auf eine pausenlose "Tatort"-Länge verdichtet. Die komödiantischen Elemente werden ein wenig zurückgedrängt. Sonst lässt die Slowenin Ibsens noch immer sehr starken Text mätzchenfrei und streng für sich sprechen.

Die Figuren tragen ihre grauen Kostüme als Zwangsjacken. Man spricht in gemessenem Ton eines naturwissenschaftlichen Experiments. Selbst der hyperaktive Stückmann wahrt lange Haltung. Erst als die Zeitung sein Manifest nicht drucken will, setzt Kole(z)nik eine Pause. Thomas Schmauser kippt nach vorne und schlägt die Hände zwischen den Beinen zusammen. Das macht ihn unter lauter gefassten Menschen zum Emotionalclown. Ohnehin läuft er als einziger mit offenem Kragen herum, ohne dass ihm diese Lockerheit nützen würde.

Die Handlung schnurrt wie ein gut geöltes Uhrwerk. Die Schauspieler agieren ein wenig wie Marionetten, was aber kaum stört, weil es eine böse Lust ist, der lehrbuchmäßigen Mechanik dieses Politthrillers zu folgen, in dem niemand zu 100 Prozent recht behält und alles seine zwei Seiten hat.

Ein Lehrstück über Demokratie

Die den Wahrheitssucher unterstützenden Journalisten verfolgen eigene politische Pläne. Als es auch ihnen ans Geld geht, verweigern sie die Unterstützung. Den Arzt macht der Inbesitz der Wahrheit zum Querulanten. Seine Widersacher tricksen ihn bei einer Bürgerversammlung eiskalt mit Hilfe der Geschäftsordnung aus. Da gerät dann – immerhin – eine Scheibe in der Vitrine in Schieflage (Bühne: Raimund Orfeo Voigt).

Es ist schwer, die Wahrheit unter die Leute zu bringen, wenn sie weh tut. Thomas Huber spielt Stockmanns konservativen Bruder und Widersacher mit einer Mischung aus harter Schwäche und schwacher Härte. Thomas Gräßle (Aslaksen), Till Firit (Hovstad) und Thomas Lettow (Billing) vertreten virtuos diverse Schattierungen grauer Mäuse. Die Frauen (Katharina Pichler und Lilith Häßle) bleiben Randfiguren in einem Männerstück, das vorführt, wie leicht sich in der Demokratie kurzfristige Egoismen durchsetzen.

Bürokraten sind laut Ibsen auch keine Alternative, und in seiner großen Rede schlägt Stockmanns Anliegen, dem Volk durch Wahrheit zu dienen, in üble Volksverachtung um. Und so bleibt der "Volksfeind" ein Lehrstück ohne billige Lehre.

Mateja Koleznik holt das alles mit einer unangenehmen Nüchternheit heraus. Am Ende spritzt aus der gut geölten Dramaturgie ein Tröpfchen auf den Boden. Die Regisseurin hat Ibsens offenen Schluss zugeschärft, um abschließend an den Grundwiderspruch zu erinnern. Während der Weltverbesserer von einer zweiten Karriere als Lehrer träumt, sind seine eigenen Söhne drauf und dran, die Proben mit dem vergifteten Wasser auszutrinken.
Wahrheitssuche muss sein. Aber sie kann ruinieren. Und mit Familie ist sie doppelt gefährlich. 

Residenztheater, 27. Februar, 2., 5. und 25. März, Karten online und unter Telefon 2185 1940

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