Kritik

Perfekt für die ganze Familie: "Aschenbrödel" im Gärtnerplatztheater

In Karl Alfred Schreiners Märchenballett „Aschenbrödel“ für das Ballett des Staatstheaters am Gärtnerplatz finden alle ihr Liebesglück
von  Vesna Mlakar
Dean Elliott (Chamäleon), Ariane Roustan (Lama), Gjergji Meshaj (Flamingo), Micaela Romano Serrano (Aschenbrödel), César Lopez Castillo (Flamingo)
Dean Elliott (Chamäleon), Ariane Roustan (Lama), Gjergji Meshaj (Flamingo), Micaela Romano Serrano (Aschenbrödel), César Lopez Castillo (Flamingo) © Marie-Laure Briane

Schier rastlos, aber alles andere als trostlos - so treibt die Musik von Walzerkönig Johann Strauss den Plot in Karl Alfred Schreiners „Aschenbrödel“ voran. Dem hohen Erzähltempo wird dadurch ein mitreißender Sound munterer Heiterkeit beigemischt. Noch bevor sich der Vorhang im historischen „Wagnerzug“ von der Bühnenmitte zur Seite und nach oben hin öffnet, mag dem einen oder anderen bereits rein akustisch mancher realitätsbelastete Alltagsdruck von den Schultern abfallen.

Intellektuell muss sich hier niemand den Kopf zerbrechen an diesem rundum familientauglichen Premieren-Abend. Schön und zugleich auch ein wenig enttäuschend - gerade mit Blick auf die durchweg schwungvoll-dynamische Choreografie. Empathische Werte vermitteln sich dadurch eher auf der Ebene eines wohligen, traumversunken-weltentrückten Bauchgefühls als tiefer gehender, komplexer Emotionen.

Der Prinz (Ethan Ribeiro) - zu Beginn ganz Kind an der Rampe - spielt mit gefalteten Papiertieren. Aus seinen Fantasien wird er durch seinen Erzieher (Gjergij Meshaj) gerissen - ein kreativer Freigeist mit Gespür für die Notwendigkeit des Bücherstudiums. Vergleichbar deutlich lesbar in ihren Bewegungsprofilen und Gefühlshorizonten sind auch die anderen Charaktere. Sobald Montana Dalton und Chia-Fen Yeh auf der Bildfläche erscheinen, wird es turbulent. Die beiden Stiefschwestern gibt es eben nur im Doppelpack.

Der Prinz (Ethan Ribeiro)
Der Prinz (Ethan Ribeiro) © Marie-Laure Briane

Wenn ihr wildes Treiben Schäden verursacht, schieben sie die Schuld Aschenbrödel (Micaela Romano Serrano) in die Schuhe. Diese weiß jedoch im Gegensatz zu ihnen mit Dingen sorgsam und pfleglich umzugehen und kann sich zudem gut alleine beschäftigen. Dennoch entscheidet sich die Stiefmutter (Yunju Lee) immer wieder zum Vorteil der eigenen Töchter - zumindest im ersten Teil. Eine coole, überraschend neue Wendung nimmt die altbekannte Geschichte erst nach der Pause.

Die Stiefschwestern sind auf Zank gebürstet

Kulissen und Mobiliar-Requisiten hängen ästhetisch gefällig wie im Marionettentheater an Fäden herab. Dank des mobilen Bühnensets (Kaspar Glarner, Simon Schabert) können Ortswechsel vor den Augen der Zuschauer enorm schnell stattfinden. Die von Bregje van Balen im Stil von zu Leben erwachten Kinderbuchillustrationen eingekleideten Hauptprotagonisten mit ihren zahlreichen tierischen Begleitern begegnen sich in einer selig-entspannten Gedankenwelt. Jene Herausforderungen, die zu Hause im Palast respektive dem stiefmütterlichen Haushalt mit den zwei nervigen, auf Zank gebürsteten Stiefschwestern auf sie einwirken, spielen da keine Rolle mehr.

Als Schreiner vor 13 Jahren die Ballettdirektion des Gärtnerplatztheaters übernahm, war ein fantasievolles „Dornröschen“ seine erste Münchner Produktion, damals noch im Ausweichquartier Reithalle. Sich inhaltlich eigene Freiheiten herausgenommen und den Schwerpunkt ganz auf das Märchenhafte verlegt, hat er mit seinem Team und Ensemble jetzt erneut.

Die Stiefschwestern (Montana Dalton und Chia-Fen Yeh) gibt es eben nur im Doppelpack.
Die Stiefschwestern (Montana Dalton und Chia-Fen Yeh) gibt es eben nur im Doppelpack. © Marie-Laure Briane

Nachvollziehbarer Weise - immerhin wird dieses Jahr der 200. Geburtstag von Johann Strauss (Sohn) gefeiert - hat er das in eben jener musikalischen Variante des „Aschenbrödel“ getan, die er als ehemalige Tänzer aus seiner Wiener Staatsballettzeit schon gut kennt.

Es ist ein rhythmisch angenehmer, pur instrumentaler, vereinnahmender Klang, in den sich später auch einige leisere und intimere Passagen mischen. Der bloß fragmentarisch hinterlassenen und durch den seinerzeitigen Hofopern-Ballettdirigenten Josef Bayer bearbeiteten Strauss-Komposition zu einer aktualisierten Handlung, die man im Jahr 1898 mittels eines Preisausschreibens in einer Wiener Zeitschrift zu finden gehofft hatte, fehlt der bildmalerisch packende, dramatisch große Bogen, den Sergej Prokofjews sonst meist verwendete „Cinderella“-Partitur Choreografen bietet.

Eine Polka für das Waschbären-Trio 

Doch dieses vermeintliche Defizit von Nummern- und Bruchstückhaftigkeit nutzen Schreiner und Eduardo Browne am Pult im Verlauf des Stücks bewusst zu deren Gunsten aus.

Sogleich heraushörbar ist die eigens für das lustige Waschbären-Trio integrierte „Neue Pizzicato-Polka“. Die Tänzer Hyo Shimizu, David Valencia und Nicolò Zanotti lassen dazu eifrig imaginäre Nähnadeln durch einen zuvor mutwillig zerrissenen Gardinenstoff tanzen. Aschenbrödel, die über weite Strecken wie die gesamte Kompanie erstmal nur Socken trägt, bekommt ihr Ballkleid, und das am Ende zu Recht heftig bejubelte Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz spielt herrlich ansteckend pointiert comme il faut dazu auf.

Micaela Romano Serrano (Aschenbrödel)
Micaela Romano Serrano (Aschenbrödel) © Marie-Laure Briane

Zum Höhepunkt wird schließlich ein rasantes Tableau, das zum furiosen Strauss-Csárdás aus der Operette „Ritter Pásmán“ niemanden der Mitwirkenden verschont. Jeder umklammert einen Schuh. Aschenbrödel und der Prinz haben da eigentlich schon längst zusammengefunden - bei einem Tête à tête auf einer grünen Wiese abseits der vom König (Joel Distefano) aufs Beste unterhaltenen Ballgesellschaft.

Ihr mit feiner Melancholie unterlegter Pas de deux zur „Romanze Nummer zwei für Cello und Orchester“ hatte eine Gruppe im Dunkeln funkelnder Leuchtkäfer gerahmt.

Doch als Aschenbrödel auf der Flucht vor den hereinplatzenden Stiefschwestern ihren Sneaker verliert, galoppieren bald alle quer über die Bühne auf der Suche nach dem passenden Partner. „Aschenbrödel“ als beschwingtes Gute-Laune-Ballett in schwierigen Zeiten - dagegen gibt es eigentlich nichts einzuwenden.

Nächste Vorstellungen: 26., 29.11, 22., 25., 28.12. 2025 im Staatstheater am Gärtnerplatz. Altersempfehlung ab 6 Jahren.
Karten unter  089 2185 1960

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