Dieter Nuhr: "Ich denke, also sage ich was"

Der Kabarettist und Comedian Dieter Nuhr gastiert am heutigen Donnerstag mit seinem Programm "Nur Nuhr" im Münchner Circus Krone. Der Kabarettist im AZ-Interview.  
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Der Kabarettist und Comedian Dieter Nuhr gastiert am heutigen Donnerstag mit seinem Programm "Nur Nuhr" im Münchner Circus Krone. Der Kabarettist im AZ-Interview.

München - Er besteht darauf, zu Themen wie Islamisten und Facebookshitstorms bereits alles gesagt zu haben, was er zu sagen hat. Am Rande seines Gastspiels im Circus Krone spricht Dieter Nuhr stattdessen über den Umgang mit vernichtender Kritik, den geweiteten Blick und sein soziales Engagement.

Interview mit Dieter Nuhr. Geboren 1960 in Wesel. Er studierte Kunst und Geschichte für das Lehramt. Seit 1987 tritt er als Kabarettist auf, seit neun Jahren präsentiert er im ZDF einen satirischen Jahresrückblick. Nebenbei ist er als Fotokünstler aktiv.

AZ: Herr Nuhr, "Nur Nuhr" heißt Ihr neues Programm. Nur Sie alleine füllen Hallen, Was erwartet die Zuschauer, gibt es einen roten Faden?

DIETER NUHR: Nun, es geht über weite Strecken um Selbstbestimmung. Wir haben Raucherquadrate auf dem Boden, Fitnesstracker am Arm und bedienen uns politisch korrekter Sprache und Sprachinnen. Da hat man das Gefühl, dass man ständig aufpassen muss, nichts falsch zu machen. Ich habe das Gefühl, die Fremdbestimmung wird größer. Das verwirrt mich. Und Verwirrung ist immer lustig.

Welche Vorbilder hatten und haben Sie? Vorbilder habe ich keine. Als ich anfing, war Hanns Dieter Hüsch eine gute Orientierung, der zog seine Komik aus der Vermischung des Politischen und des Privaten, das fand ich super. Aber inzwischen hat der Kaiser abgedankt, und wir leben im 21. Jahrhundert. Ich sitze am Computer, google, recherchiere in Datenbanken und greife auf eine Milliarde Statistiken im Netz zu. Und ein einziger nicht linientreuer Gedanke führt zum Shitstorm. Das ist nicht mehr zu vergleichen mit früher. Dass der Storm einmal aus Shit bestehen würde, hat niemand vorhergesehen.

Sie haben Bildende Kunst und Geschichte bis zum Ersten Staatsexamen studiert. Kann man das für den kabarettistischen Beruf nutzen?

Der größte Unterschied ist: Das Publikum kommt freiwillig, ein großer Unterschied in der Motivation. Das Recherchieren habe ich im Geschichtsstudium gelernt, im Kunststudium das Nie-zufrieden-Sein mit dem eigenen Werk. Beides ist sehr nützlich.

Wie empfinden Sie den Unterschied zwischen Fernsehen und Bühne? Die Bühne ist heimeliger, sie ist mein eigentlicher Beruf. Das Fernsehen kommt dazu, man erreicht dort mehr Leute, allerdings dadurch auch mehr Gestalten, die genau wissen, dass jede andere Meinung als die eigene falsch ist und das einem auch mitteilen, gerne verbunden mit Drohung oder Beleidigung. Damit muss man wohl heute leben. Man nennt das Demokratisierung. Eine sehr optimistische Sicht der Dinge.

Welches Feedback ist Ihnen wichtig? Kritiker, Publikum, Social-Media-Feedback, Quoten, Begegnungen im Alltag?

Quoten sind natürlich schon ein guter Gradmesser. Social Media sind nicht mehr aussagekräftig. Facebook ist inzwischen ein Treffpunkt für Schreihälse und Radikale aller Art, religiös, politisch, sonst wie. Das Wichtigste sind für mich die alltäglichen Begegnungen, also das Live-Publikum und was ich auf der Straße erlebe. Das ist extrem positiv.

Wie gehen Sie, obwohl mit nahezu allen Preisen im Humorgewerbe prämiert, mit dem Bashing von Kritikern gegen Sie als vermeintlichen Mainstreamhumoristen um?

Der Mainstream sind ja immer die anderen. Ich komme aus der Generation, die das erfunden hat, dass es Mainstream ist, zum Mainstream nicht dazugehören zu wollen. Und "Mainstream" dann als Vorwurf zu formulieren. Das Rumpöbeln und alles niederbrüllen, was nicht der eigenen Meinung entspricht, ist heute Mainstream. Da bin ich nicht dabei. Ich halte das, was ich sage, für extrem eigensinnig, sonst wäre es auch nicht so erfolgreich. Wenn man das sagt, was alle sagen, hört ja keiner zu. Gerade in Deutschland erzeugt Erfolg aber auch Missgunst. Das ist schade, aber nicht zu ändern.

Sie reisen viel, dokumentieren dies mit TV-Dokus, Büchern und Ausstellungen Ihrer Fotos. Der dadurch entstehende Blick über den Tellerrand, relativiert der unsere Alltagssorgen?

Ja, selbstverständlich. Ich kenne Kabarettkollegen, die glauben, über Weltpolitik reden zu können und noch nie über den Hollandurlaub hinaus gekommen sind. Die globalisierte Welt kann man nur begreifen, wenn man ab und zu Europa verlässt. Wenn man über Armut spricht, sollte man erlebt haben, was das Wort woanders bedeutet. Das schärft den Blick für das Erhaltenswerte zu Hause.

Gab es je Zweifel, den eingeschlagenen Weg zu verlassen? Mich interessiert Gegenwind überhaupt nicht. Ich sage, was ich denke, nicht was gedacht werden sollte! Das ist die Grundlage für den Erfolg. Da kommen jeden Abend ein paar Tausend Leute zu den Auftritten. Die kommen nicht, weil sie von mir hören, was auch die anderen erzählen.

Kann Kabarett überhaupt eine Wirkung haben?

Die sollte man nicht überschätzen. Die meisten Kabarettisten behaupten seit Jahrzehnten, die Welt ginge unter, Politiker seien dumm, und der Wähler sei ein Depp, denn er merkt es nicht, die ganzen üblichen Allgemeinplätze. Das ist wirkungslos, weil es stereotyp ist. Überraschende Blickwinkel schlagen Wellen. Ich versuche, den üblichen Kabarettistenstandpunkt zu verlassen. Wenn ein Standpunkt einen neuen Blickwinkel eröffnet, ist er erst mal interessant und oft auch lustig. Und dann erzeugt er auch Wirkung.

Was kam zuletzt zu kurz, welche Wünsche, Ideen und Projekte haben Sie noch?

Ich mache erstmal weiter, wenn nötig, so lange, bis mich einer von der Bühne trägt. Meine ganze Strategie ist: Wir haben vielleicht noch 80 oder 100 Jahre hier auf dem Planeten, die fülle ich so gut es geht. Danach kann ich mich dann ausruhen. Vermutlich. Wer weiß schon, was dann kommt.

Interview: Thomas Steierer

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