"Die Vögel" im Nationaltheater: Wenigstens die Musik federt

Premiere im Nationaltheater: Ingo Metzmacher und Frank Castorf bringen "Die Vögel" von Walter Braunfels auf die Bühne.
Robert Braunmüller
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Schaut aus wie im Bayreuther Castorf-"Ring": Komödiant Michael Nagy als Ratefreund im weißen Hemd und ein komischer Vogel auf der Bühne von Aleksandar Denic im Nationaltheater.
Schaut aus wie im Bayreuther Castorf-"Ring": Komödiant Michael Nagy als Ratefreund im weißen Hemd und ein komischer Vogel auf der Bühne von Aleksandar Denic im Nationaltheater. © Wilfried Hösl

München - Vor dem Nationaltheater weitgehend maskenlose Halloween-Feiern mit Scherben, Müll, aufheulenden Motorrädern, einer Stretch-Limousine und einem Auffahrunfall. Drin streng abgezählt 50 maskierte und von nahezu der gleichen Zahl an Einlasspersonal betreute Besucher. Für diese Wenigen begleitet ein etwa 60-köpfiges Orchester elf Solisten und einen großen Chor samt Statisterie. Und auch hinter der Bühne dürften mindestens 50 Unsichtbare während einer Vorstellung arbeiten.

Auf diese absurde Situation passt eine Inszenierung von Frank Castorf wie ein maßgeschneiderter Handschuh oder wie die Faust aufs Auge. Und weil es sich hier um einen schwachen Castorf handelte, lag jetzt die Konzentration auf der Musik von Walter Braunfels, dessen Oper "Die Vögel" nach fast genau 100 Jahren endlich an den Ort ihrer Uraufführung zurückkehrte.

Eine Koloraturarie, die ein wenig an die Szene der Zerbinetta aus "Ariadne auf Naxos" erinnert, eröffnet Braunfels' Oper nach einer kurzen Naturstimmung. Auch der Konversationston der Musik ähnelt dem Stil seines Kollegen Richard Strauss. Aber auch die "Meistersinger" und "Siegfried" lassen grüßen. Abgerundet wird das mit impressionistischer Farbigkeit und einer Dosis Pfitzner, allerdings mit mehr Melodie und ohne grimmige Grübelei.

"Die Vögel" sind eine sehr helle und bunte Partitur, die Ingo Metzmacher mit dem Bayerischen Staatsorchester perfekt zum Strahlen brachte. Womöglich verstärkte die etwas reduzierte Streicherbesetzung noch den Glanz, der - im Unterschied zu Richard Strauss - nie überzuckert wirkt. Am Beginn des zweiten Akts überrascht eine dunkle Nachtstimmung, gegen Ende bricht ein Gewitter los, das mühelos mit der "Alpensinfonie" mithalten kann.

Ohne guten Librettisten keine zündende Dramaturgie

Warum muss diese wunderschöne Musik immer wieder neu entdeckt werden? Weil Braunfels leider keinen Hofmannsthal fand. Der Komponist richtete eine Komödie des Aristophanes selbst ein. Zwar ist der Zeitbezug zum Ersten Weltkrieg mit Händen zu greifen, wenn zwei schlafwandlerische Müßiggänger die Vögel dazu verleiten, die Götter durch den Bau einer Himmelsstadt herauszufordern. Aber nicht ganz umsonst ist auch von der antiken Vorlage nur der Begriff "Wolkenkuckucksheim" geblieben.

Als Oper ist das alles eher eine Suite aus schönen Orchesterliedern und Chören, aber eben kein Theaterstück mit einem dramatischen oder komischen Konflikt. Leider fehlt auch Castorfs Inszenierung die Dichte der Produktion von "Aus einem Totenhaus". Die Nachtigall gemahnt an den Waldvogel aus dem Bayreuther "Ring", der ebenfalls in Gestalt einer Sambatänzerin erschien.

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Auch sonst beschränkt sich der alte Theaterwüterich darauf, sich selbst zu zitieren und Assoziationen zum Titel weiterzuspinnen. Natürlich werden auch Ausschnitte aus dem gleichnamigen Hitchcock-Film projiziert. Und weil neben der Raubkunstdebatte und SS-Uniformen auch die afroamerikanische Religiosität auch mitspielt, erinnert das Ganze stark an Arbeiten von Christoph Schlingensief, nur leider aus dritter Hand.

Epische Schwatzhaftigkeit der Partitur

Gesungen wird herausragend. Caroline Wettergreen meistert die Koloraturen der Nachtigall nicht nur gleißend, sie singt auch die Liebesszene mit viel Seele. Charles Workman und Michael Nagy sind als Hoffegut und Ratefreund kernige Komödianten, die auf feinere Nuancen nicht verzichten. Wolfgang Koch erzählt gegen Ende als Prometheus wie Wotan gleich sein ganzes Leben, ohne dass das für die Handlung eigentlich sachdienlich wäre - ein typisches Beispiel für die epische Schwatzhaftigkeit der Partitur.

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Am Ende darf man ein wenig an die aktuelle Situation denken, wenn die beiden schlechten Vogel-Berater Ratefreund und Hoffegut angesichts des von ihnen angerichteten Schlamassels mit den Achseln zucken und mit bayerischer Bierruhe zur Tagesordnung zurückkehren: wie unsere famosen Kulturpolitiker.


Weitere Vorstellungstermine stehen wegen des Lockdowns nicht fest. Die Aufzeichnung der Premiere ist vom 5. November bis 5. Dezember als Video on Demand auf www.staatsoper.tv zu sehen

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