"Die Teufel von Loudun" im Nationaltheater: Viel Theater, zu wenig Musik
München - Religionskritik kann so einfach sein. Man wählt sich den Katholizismus zum Lieblingsfeind, nimmt dazu sein verklemmtes Verhältnis zum Sexuellen. Auch Exorzisten und etwas Hexenverfolgung schaden nie, wenn es darum geht, seit Voltaire sperrangelweit offene Türen mit viel Getöse einzurennen.
Das Problem dieser Aufführung ist das Werk selbst
Das alles bildet die Substanz von Krzysztof Pendereckis Oper "Die Teufel von Loudun", die nun 53 Jahre nach ihrer Uraufführung in Hamburg im Nationaltheater zu sehen ist.

Die Neuproduktion ist szenisch wie musikalisch untadelig. Das Problem dieser Aufführung ist das Werk selbst, das auf weite Strecken einem Schauspiel mit Musik und einer sehr erwartbaren Handlung gleicht. Und so bleibt einem nur, zu wiederholen, was auch schon vor mehr als einem halben Jahrhundert über diese Oper gesagt wurde.
Wir hören undramatisches, auf Kontraste verzichtendes Gleichmaß
Was Penderecki komponierte, sieht in der Partitur oft aufregend aus. Und es dürfte für Vladimir Jurowski auch reizvoll sein, die teilweise grafisch notierte Musik zu koordinieren. Nur: Wir Zuhörer dürfen nicht dirigieren, wir hören undramatisches, auf Kontraste verzichtendes Gleichmaß. Und das zieht den Abend in die Länge.
Opernverweigerung macht den pausenlosen Abend zäh
Es gibt keine einzige Szene, nicht einmal ein Orchesterzwischenspiel, das irgendwie im Ohr haften würde - schlicht deshalb, weil jenseits von Cluster-Klangflächen und gelegentlicher Kraftausbrüche wenig passiert. Und immer, wenn sich für Sekunden so etwas wie ein Ruhepunkt, eine musikalische Reflexion einstellen könnte, wird hineingeplappert.
Diese Opernverweigerung macht den pausenlosen Abend zäh. Wie schon 1969, als nach der durchgefallenen Uraufführung erst die von Günther Rennert inszenierte Stuttgarter Zweitproduktion für einen Sensationserfolg sorgte, ist es hier Simon Stone, der mit einem Riesenaufgebot an Sängerdarstellern die "Teufel von Loudun" halbwegs genießbar werden lässt.
Jordan Shanahan singt als Vertretung von Wolfgang Koch mit Stimmgewalt aus dem Orchester
Stone hat die im Frankreich des 17. Jahrhunderts spielende Geschichte kaltschnäuzig in die Gegenwart versetzt. Da sieht der Zuschauer mit wachsendem Entsetzen, wie in einem an sich zivilisierten Umfeld mit Smartphones und Pressefotografen eine schuldlos schuldige Person nach allen Regeln der Kunst mit Elektroschocks gefoltert und im Feuer entsorgt wird. Und einer der Folterer ist selbst so angeekelt, dass er sich in einen Eimer übergeben muss.
Das ist streckenweise starkes Theater. Die Corona-bedingte Verdopplung des Paters Grandier, den Jordan Shanahan in Vertretung des erkrankten Wolfgang Koch mit Stimmgewalt aus dem Orchester singt, während Robert Dölle die Rolle auf der Bühne nicht minder eindringlich spricht und verkörpert, verstärkt dies noch. Martin Winkler macht aus dem Exorzisten eine etwas zu schmierige Type, Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, Kevin Conners und Ulrich Reß liefern scharfe Charakterstudien, die Nonnen um Ausrine Stundyte (Jeanne) bleiben ein wenig blass.
Perfekter wurden die "Teufel von Loudun" bisher wohl kaum aufgeführt
Inwieweit sich die eingebildete Verführung der Mutter Oberin durch Grandier mit ihren katastrophalen Folgen als vorweggenommener #MeToo-Fall lesen lässt, bleibt Geschmacksache. Denn die von dieser Geschichte angebotene Erklärung von Hysterie aufgrund unbefriedigten Trieblebens hat - höflich gesagt - einen Bart wie Sigmund Freud. Dass Grandier in der zweiten Hälfte dieser Oper des Katholiken Penderecki wie Jesus Christus stellvertretend für uns leidet, wirkt als Sinngebung des Sinnlosen eher angestrengt. Auch die ohne Grautöne schlecht entwickelte politische Intrige und die unvermeidlichen Soutanen stehen einer Vergegenwärtigung im Weg.

Das Bayerische Staatsorchester produziert teilweise faszinierende, perfekt abgemischte quasi-elektronische Klänge. Perfekter wurden die "Teufel von Loudun" bisher wohl kaum aufgeführt. Aber die Neuproduktion bleibt eine Totgeburt, weil der Komponist den Teufel wie im schwarzweißen Fernsehspiel aus dem Lautsprecher im Bass quatschen lässt und es ansonsten versäumt, die Figuren musikalisch zu charakterisieren. Aber das alles erkennt man womöglich erst, nachdem dieses Werk wieder auf die Bühne gebracht wurde. Und solche Erfahrungen sind letztendlich wertvoller als die Eröffnung der Opernfestspiele mit einer risikolosen "Tosca" oder einer neuen "Zauberflöte".
Wieder am 30. Juni sowie am 3. und 7. Juli. Eine Aufzeichnung der Premiere gibt es als Video-on-Demand auf staatsoper.tv
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