Die Oper "Sommertag" von Nikolaus Brass
Die dritte Uraufführung klärt die Sicht. Im Schwere Reiter stehen endlich Wesen auf der Bühne, die Menschen ähneln – Figuren mit Abgründen und Widersprüchen, keine Kopfgeburten und Sprechblasenträger, mit denen die Uraufführungen der Biennale für Neues Musiktheater öfter zu nerven pflegen.
„Sommertag“ meidet den Kardinalfehler vieler neuer Bühnenwerke. Die Kammeroper nach einem Stück von Jan Fosse handelt vom vergeblichen Warten einer verlassenen Frau. In einer Rückblende erlebt sie den Schmerz und die Sprachlosigkeit ihrer Beziehung. Es ist die Beschreibung eines existenziellen Zustands – ohne Zuweisung einer Schuld. Das Schweigen öffnet einen Raum für Musik, den Brass mit intensiven Klängen füllt, ohne auf jene platte Eindeutigkeit zu zielen, die in Samy Moussas „Vastation“ und Marko Nikodijevics „Vivier“ für Gebrauchstheatervergnügen ohne jede Nachhaltigkeit sorgt.
Während seine Kollegen ein Kammerorchester mit allerlei Tricks zur symphonischen Normalgröße aufblasen, setzt Brass auf Reduktion: Der Gesang wird meist nur von einem Instrument umspielt und und variiert, die Besetzung beschränkt sich auf Klarinette, Geige, Bratsche, Kontrabass, Akkordeon und Schlagzeug.
Weniger ist mehr
Die Musik des 64-jährigen Einzelgängers ist heftig, fast körperlich und intensiv. Leider fällt die Spannung nach einem zentralen und wohl überlangen Bratschensolo ab. Danach müsste das Stück schneller zum Schluss kommen.
Brass’ Musik hat viele Vorzüge, aber auch einen Nachteil: Sie steht für sich. Die Bühne kann ihr nur wenig hinzufügen. Das scheint der Regisseur Christian Marten-Molnár als Defizit empfunden haben: Er erfand eine dezent angedeutete, aber auch ziemlich überflüssige Vergewaltigung der namenlosen Hauptfigur (Sarah Maria Sun) durch den Mann ihrer Freundin hinzu. Sie erklärt nichts und schmeckt auch unangenehm nach billigem Klischee über Männer.
Die Zuschauer sitzen im Schwere Reiter hart am Geschehen. Die minimalistische Darstellung und der intensive Gesang der Neuen Vocalsolisten Stuttgart wirken daher um so stärker. Dieser Abend bestätigt trotz seiner Überlänge die Erfahrung, dass in der Kunst weniger oft mehr ist – auch im Musiktheater.