Barrie Kosky: Die neue "Fledermaus" im Nationaltheater
Der Slibowitz wird schon im ersten Akt ausgetrunken. Frosch bleibt nach der Pause nüchtern, wird aber dafür sechsfach gesehen. Eine Erscheinungsform (Max Pollack) steppt die Pizzicato-Polka, auch der Rest redet nicht viel. Haupt-Clown ist allerdings Martin Winkler als Gefängnisdirektor Frank, der in einer Glitzer-Unterhose mit viel Mut zu nacktem Fleisch eine tragikomische Clowns-Nummer aufführt.
Barrie Kosky rettet in seiner Neuinszenierung an der Bayerischen Staatsoper den sonst oft so langweiligen dritten Akt der "Fledermaus" von Johann Strauß mit Slapstick. Zeitaktuelles Kabarett fehlt, dafür gibt es zeitlose Komik mit stolpernden Menschen, herunterfallenden Schlüsseln, einem Toupet sowie einem historischen Wählscheibentelefon. Das hat auch den Vorteil, dass die Verkleidung Eisensteins als Notar nicht ganz so aufgesetzt wirkt wie in traditionellen Aufführungen dieser Operette.
Bürgerliche Abgründe
Der ziemlich musikarme dritte Akt ist der Höhepunkt der Aufführung. Davor inszeniert Kosky die "Fledermaus" mit den bis aufs letzte ausgereizten komischen Mitteln des Genres. Das ist im besten Sinn altmodisch, was aber nicht weiter auffällt, weil die Aufführung auf jede Form von Sentimentalität verzichtet.
Obwohl es sich der Regisseur verkneift, die Geschichte in irgendeiner Form "kritisch" zu erzählen oder zu demaskieren, werden doch tiefe Abgründe unterhalb der bürgerlichen Existenz sichtbar.
Eisenstein fürchtet schon in der Ouvertüre in einem heitere Alptraum-Ballett (Choreografie: Otto Pichler) die Rache der Fledermaus, die ihn am Ende ereilt. Ein Alpträumchen mag beim Zuschauer auch das Wiener Straßenschild "Judenplatz" auslösen - aber auch das gehört zur Geschichte der Operette, ihrer Künstler und der nach 1945 in verschämter Sentimentalität ertränkten Komik (Bühne: Rebecca Ringst).

Eisenstein als Ekel Alfred
Aber das bleibt eine Nuance. Bei Kosky darf man endlich wieder einmal über einen Spießbürger im Nachthemd und Schlafmütze lachen. Georg Nigl versteht den Eisenstein als eine großbürgerlichen Verwandten von Ekel Alfred: Er ist paranoid, eifersüchtig und jähzornig - aber zugleich auch ein liebenswerter Schwerenöter. Das ist in seiner bösartigen Unlustigkeit sehr komisch, aber man lacht eben nicht unterhalb eines gewissen psychologischen Niveaus.
Nigl singt die Rolle auch so differenziert, wie es von einem Sänger erwartet werden darf, der auch als Wozzeck auftritt. Diana Damrau wirkt als Rosalinde in ihren humoristischen Ambitionen anfangs ein wenig forciert. Als maskierte ungarische Gräfin dreht sie dann mächtig auf, und auch den dritten Akt meistert sie als Operettendiva souverän.

Fluide Geschlechter
Markus Brück legt den Dr. Falke nicht so schmierig an wie ältere Vertreter dieser Rolle: Er hat etwas Komisch-Dämonisches, und das passt hier gut. Sean Panikkar darf als Alfred die üblichen Einblicke in sein italienisches Repertoire von "La traviata" bis "Tosca" geben, Katharina Konradi bleibt als Adele vergleichsweise brav, dafür haut ihre Schwester Ida (Miriam Neumaier) mächtig auf den Putz.
Kosky wäre nicht Kosky, wenn nicht beim Ball des Prinzen Orlofsky die Geschlechter fluid verschwimmen würden. Der Countertenor Andrew Watts tritt sehr erwartbar als Drag Queen mit einem mächtigen Federbusch auf und trägt im dritten Akt im grünen Reifrock. Man wackelt mit dem Hintern, es gibt viele Federn und viel Fummel. Irgendwie fühlt man sich in eine Händel-Inszenierung der Ära von Sir Peter Jonas zurückversetzt. Aber gehört Nostalgie nicht auch zu einer guten Operettenaufführung?
Ja, vieles in dieser "Fledermaus" hat man schon gesehen: Schrille Kostüme (Klaus Bruns) haben sich bereits in Koskys "Schweigsamer Frau" eng an der Kante des Orchestergrabens versammelt. Und wie so oft werden zur Illustration eines Katzenjammers Kulissen von einem Gerüst heruntergerissen, das im dritten Akt in seiner nackten Pracht ziemlich an Koskys "Agrippina" von 2019 im Prinzregententheater erinnert.

Kein Walzerkönig
Egal. Es macht Spaß, auch in den (dezent verstärkten) Dialogszenen, die überdreht genug gespielt und gesprochen werden, um keine Sekunde zu langweilen. Recht seriös geht es im Orchestergraben zu. Vladimir Jurowski hat viel Tradition hinausgeputzt und dirigiert einen eher unwienerischen Johann Strauß ohne seidigen Glanz und den Schmäh angeblich echt altösterreichischer Tempo-Rückungen. Bisweilen, und das hat viel mit dem im hinteren Parkett sehr knallig wirkenden Schlagzeug zu tun, fühlt man sich in die Bälle von Prokofjews "Krieg und Frieden" versetzt.
Aber letztendlich rundet das eine Premiere, die auch Operettenverächter mit viel polierter Oberfläche von den Qualitäten des Genres überzeugen könnte. Einen aktuellen Witz über die Signa-Pleite gibt's im zweiten Akt dann doch. Und man würde fast schwören, Georg Nigl habe ihn tagesaktuell extemporiert, was bei einer Operette auch irgendwie dazugehört.
Wieder am 28. und 31. Dezember sowie am 2., 5., 7. und 10. Januar im Nationaltheater. Die Silvestervorstellung ist ab 22.40 Uhr auf staatsoper.tv und Arte zeitversetzt zu sehen
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