"Die Natur will uns nichts sagen"
Der Schweizer Regisseur Christoph Frick beschäftigt sich an den Münchner Kammerspielen gemeinsam mit dem Autor Lothar Kittstein mit dem Thema Landwirtschaft. Ihr Stück "Land" zeigt Entwicklungen vom Ende des 19. Jahrhunderts bis ins Heute.
AZ: Herr Frick, während wir sprechen, blockieren wieder Traktoren die Straßen. Haben die Bauernproteste dieser Tage noch Einfluss auf das Projekt?
Christoph Frick: Sie sind eher eine Bestätigung. Ich beschäftige mich schon länger mit diesem Thema, und die Probleme, die jetzt an die Oberfläche treten, sind nicht neu. Die Subventionskürzungen sind nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Tagespolitik interessiert mich aber nur am Rande.
Haben Sie einen persönlichen Bezug zur Thematik?
2018 habe ich im "Tagesanzeiger" einen Artikel gelesen mit dem Titel "Warum syt dir so truurig?". Er handelt davon, dass die Bauern in der Schweiz die Berufsgruppe mit der höchsten Selbstmordrate sind. Damals fing ich an, mich mit unserem Klischeebild von Landwirtschaft zu beschäftigen: diese Bullerbü-Landwirtschaft mit all den Tierchen, Hennen, Gockel und Kälbchen. Das ist für die Schweiz ein politisches Image, mit dem man gerne hausiert - und das ist in Bayern, glaube ich, ähnlich. Man trägt eine leicht bäuerliche Tracht und bedient diese Marke. Das ist die Oberfläche, die persönliche Ebene in den kleineren Betrieben ist dagegen oft sehr bitter.

Trotz aller Aktualität kam das Thema im Theater lange nicht vor. Was reizt Sie daran?
Ich befasse mich schon lange mit ökologischen Themen und habe mit meiner freien Gruppe Klara in der Schweiz, am Schauspielhaus Bochum und am Theater Freiburg auch einige Theaterstücke zum Klimawandel entwickelt. Noch einen Katastrophenabend, in dem die Welt untergeht, wollte ich aber nicht machen. Wenn ich über den Viktualienmarkt gehe, habe ich den Eindruck, dass hier viel an Identität aus dem ländlichen Umfeld gezogen wird. Das Land ist sehr präsent, kommt im Theater aber nicht vor. Ich wollte rausfinden, ob eine Auseinandersetzung gelingt. Völlig überraschend habe ich dann festgestellt, dass viele Menschen am Theater eine bäuerliche Vergangenheit haben, oft in der ersten Generation. Es gibt diese Geschichten, aber wir sprechen nicht über sie.
Sie haben das Stück mit dem Dramatiker Lothar Kittstein geschrieben. Wie sieht diese gemeinsame Arbeit aus?
Mit Lothar Kittstein habe ich schon ein Projekt für das Staatstheater Darmstadt gemacht, das ich sehr inspirierend fand. Daher wollte ich wieder mit ihm zusammenarbeiten. Ich hatte mir überlegt, dass ich das Leben der Bauern in drei verschiedenen Zeiten und anhand von konkreten Figuren erzählen will, persönliche Schicksale mit ökologischen Fragen verbinden. Ich habe also ein Erinnerungsprotokoll an meine Kindheit auf dem Land geschrieben. Meine Eltern waren keine Bauern, aber ich habe einiges mitgekriegt von der Landwirtschaft, von der kleinen Schlachterei, die Verwandte von uns geführt haben und so weiter. Außerdem haben wir viele Gespräche geführt und umfassend recherchiert. All dieses Material hat Lothar dann genommen und überschrieben.
Das Stück spielt in drei Zeitebenen - 1816, 1973 und heute. Wofür stehen diese Fixpunkte?
1816 gab es eine große Klimaveränderung aufgrund eines Vulkanausbruchs in Indonesien, es wurde deutlich kälter. Plötzlich hat es im Mai geschneit, die Ernte war kaputt und es gab Hungersnöte in der Schweiz und in Bayern. Die heutigen Themen wie Selbstausbeutung und Work-Life-Balance verhandeln wir in den 1970er-Jahren vor dem Hintergrund der Ölkrise, weil wir nicht in so eine tagesaktuelle Debatte kommen wollen. Die Gegenwart im Stück beschäftigt sich eher mit der Molekularbiologie. Von diesen drei Eckpunkten ausgehend haben wir Figurenkonstellationen entwickelt.
Beim Lesen kommt einem das Heute im Stück fast wie eine Zukunftsvision vor, so eine Art Post-Landwirtschaft.
Für Laien klingt das wie Zukunft, aber es ist Gegenwart. Das Optimieren von Saatgut ist Alltag. Ob es um Getreide geht oder um Spargel: Man kann es wie Mendel machen und lange kreuzen - oder direkt ins Erbgut eingreifen. Das gehört mittlerweile zum Tagesgeschäft.
Im Gegensatz beispielsweise zu den Volksstücken von Franz Xaver Kroetz ist Ihr Stück alles andere als realistisch: Es treten Figuren wie der Boden, das Universum oder die letzte Sau auf.
Die Frage, die mich umtreibt, ist: Was haben wir für einen Kontakt zur Natur? Wenn es zu heiß ist oder es einen Sturzregen gibt, interpretieren wir das so, dass die Natur uns etwas sagen will. Natürlich ist es eine Projektion, dass das Wetter uns Botschaften sendet, dass die Erde wie ein Tier ist, das die Menschheit abschütteln will. Ich wollte, dass sich das auf der Bühne materialisiert. Wie in dem Witz von den zwei Planeten.
Wie geht der?
Treffen sich zwei Planeten. Sagt der eine: "Oh, du schaust aber schlecht aus." Sagt der andere: "Mir geht's auch nicht gut." "Was hast du denn?" "Ach, ich hab homo sapiens." "Hatte ich auch, geht vorbei."
Wie bringen Sie das Ländliche in die Therese-Giehse-Halle?
Ich wollte keinen traditionellen Theaterraum mit Guckkastenbühne haben. Das Publikum sitzt in der gleichen Halle wie die Schauspielerinnen und Schauspieler. Wir zitieren Elemente aus der Landwirtschaft, aber es bleibt künstlich, alles andere als naturalistisch. Die Kostüme spiegeln die Zeitreise, die wir machen. Vielleicht hört man eine Lenor-Werbung aus einer Zeit, in der man ein schlechtes Gewissen hatte, weil die Wäsche nicht sauber wurde… Es gibt konkrete Bezüge auf die Zeiten, aber der Raum stellt es immer als Behauptung aus. Ich will eine hohe Identifikation und Emotionalität, aber kein naturalistisches Abbild einer Landwirtschaft. Die Zeiten überschneiden sich auch, da robben zum Beispiel die Kinder aus dem 19. Jahrhundert durch die Welt der 1970er Jahre.
Ein Bild dafür, dass alles, was war, seine Spuren hinterlässt.
In den 1970er-Jahren hatte man das Bild einer offenen Zukunft. Alle haben ihren Müll aus dem Autofenster geworfen und gedacht, es gibt genügend Platz und das räumen wir irgendwann später auf. Diese Vergangenheit, den Müll und die Altlasten im Boden, spüren wir heute sehr deutlich. Auch unser Verhalten ist geprägt von dem, was wir früher gemacht haben. Der Phosphatdünger, der heute verwendet wird, wurde aufgrund der Tambora-Krise erfunden, damit es mehr Ertrag gibt und weniger Menschen hungern. Natürlich musste der Boden dadurch mehr leisten. Aber dass diese körperlich auszehrende Arbeit erträglicher geworden ist, ist natürlich ein Fortschritt.

Es wirkt, als widmen Sie sich in Ihrer Arbeit gerne denen, die sonst übersehen werden, als fühlten Sie eine Liebe für die Ungeliebten.
Ja. Das liegt mir. Warum das ist, kann ich gar nicht genau erklären. Ich habe in Freiburg unter Barbara Mundel die "Bettleroper" mit dem Ensemble, Hartz-IV-Empfängern und Obdachlosen gemacht. Mit meiner Gruppe habe ich mich mit dem größten Gefängnis in Bolivien beschäftigt. Ich denke, wenn wir eine so gut ausgestattete Institution haben, sollten wir sie nutzen, um überall hinzuschauen.
Sie erzählen die Geschichte der Landwirtschaft als eine Geschichte von Katastrophen und Geldnot. Gibt es auch irgendwas Positives?
Aufgrund der Krise um den Ausbruch des Tambora-Vulkans gab es einen unglaublichen Entwicklungsschub, ähnlich wie wir es bei der Corona-Pandemie erlebt haben. Der schnelle Fortschritt angesichts einer Krise ist etwas, das alle drei Zeiten verbindet. Wir entwickeln ein Panorama von Situationen und Verhaltensweisen. Dabei haben die Kinder aus dem 19. Jahrhundert die positivste Einstellung, auch wenn es ihnen objektiv gesehen am schlechtesten ging.
Ist dieser Optimismus etwas, das über die Zeit verloren gegangen ist? Oder ist er vielleicht einfach nicht mehr angebracht?
Ich glaube, es täte uns gut, weniger zu verdrängen und zu verschieben, sondern aufzuwachen. Das wäre natürlich erstmal ein Schockmoment, würde aber einen neuen Blick ermöglichen. Und ohne positive Perspektive ist alles sinnlos.
Premiere am 9. Februar, 19.30 Uhr in der Therese-Giehse-Halle der Kammerspiele, ausverkauft
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