"Die Lust auf das andere Theater": Aus dem Füllhorn der Kreativität

Das Theatermuseum beschäftigt sich in der Ausstellung "Die Lust auf das andere Theater" mit der Geschichte der Freien Gruppen in München.
| Mathias Hejny
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Theater im öffentlichen Raum: Ein Straßenspektakel des Freien Theaters München (FTM) in der Stadt (1978)
Theater im öffentlichen Raum: Ein Straßenspektakel des Freien Theaters München (FTM) in der Stadt (1978) © Theatermuseum

München - Elvis ist auch da. Er ist schon in späterem, leicht adipösem Zustand und von einer Lichterkette verziert zu sehen. Sein Abbild, das in der aktuellen Ausstellung des Deutschen Theatermuseums zu bewundern ist, stammt aus dem Jahr 1978 und war ein Teil der Dekoration zu "Elvis' Rockgarden".

Ausstellung "Die Lust auf das andere Theater": Inszenierung von Widersprüchen 

Das war ein Open-Air-Spektakel des Freien Theaters München - besser bekannt unter der Abkürzung FTM - auf der Theresienwiese, mit dem sich George Froscher und Kurt Bildstein über Las-Vegas-Glamour und den zeitgenössischen Popstar-Kult lustig machten.

Alfred Jarrys "König Ubu" mit Kurt Raab und Rudolf Waldemar Brem im Modernen Theater (1968).
Alfred Jarrys "König Ubu" mit Kurt Raab und Rudolf Waldemar Brem im Modernen Theater (1968). © Konrad Emmer

Was das Theatermuseum mit dem Projekt "Die Lust auf das andere Theater" zur Zeit auf unbedingt sehenswerte Weise versucht, ist eine Inszenierung von Widersprüchen und eine theaterwissenschaftliche Quadratur des Kreises. Die schon ohnehin grundsätzlich leicht flüchtigen Darstellenden Künste sind in ihrem Aggregatzustand "freies Theater" noch weniger museal zu fassen als die in klaren organisatorischen und stabilen hierarchichen Strukturen der von Bundesländern und Kommunen betriebenen Kulturtempel.

1970 wird das Theater am Sozialamt gegründet

Genau das wollte auch niemand von denen, die in den Sechziger Jahren und folgenden frei sein wollten vom bürgerlichen Establishments, um den etablierten Kulturdienstleistern eine Nase zu drehen.

"Wartungsarbeiten" im TamS mit Michele Lorenzini, Wolfi Schlick, Neil Vaggers und Teresa Gruber.
"Wartungsarbeiten" im TamS mit Michele Lorenzini, Wolfi Schlick, Neil Vaggers und Teresa Gruber. © Hilda Lobinger

Der Preis dafür ist natürlich hoch, denn freies Theater bedeutet zunächst einmal die Freiheit von nicht nur regelmäßigem, sondern auch auskömmlichem Einkommen. Als Annette Spola und Philipp Arp 1970 im alten Tröpferlbad an der Haimhauserstraße ihre eigene Bühne gründeten, nannten sie sie Theater am Sozialamt.

Recherchen fordern einiges zutage - Planungen fürs Ausstellungsvorhaben bald gesprengt

Das war durchaus programmatisch gemeint und bezog sich nicht nur auf die zufällige geografische Nähe zur Schwabinger Dependance der städtischen Sozialverwaltung. Birgit Pargner, die Kuratorin der Ausstellung, machte bei der Pressepräsentation keinen Hehl daraus, dass sie zuvor zwar gerne und oft die Münchner Stadt- und Staatstheater besuchte, von der freien Szene in der Landeshauptstadt aber nicht viel wusste.

Das hat sich offenbar geändert. Unterstützt von Zeitzeugen wie Burchard Dabinnus oder Axel Tingerding (Meta-Theater) betrieb sie eine Grundlagenforschung, die aus bislang nirgendwo archiviertem, sondern irgendwo abgestelltem Material besteht. Was diese Recherchen zutage förderten, sprengte bald alle Planungen für das Ausstellungsvorhaben.

Bewegte Bilder sind prägender Teil der Ausstellung

Schon frühzeitig arbeiteten die Theatermacherinnen und Theatermacher mit der aufkommenden Videotechnik. Zum einen war sie eine willkommene und einigermaßen preiswerte Erweiterung ihrer szenischen Mittel, zum anderen aber auch ein Werkzeug der Dokumentation und Instrument der Selbstvergewisserung.

Diese bewegten Bilder sind ein prägender Teil der Ausstellung. Dazu kommt eine neue Technologie zum Einsatz, mit der sich Besucher den Ton über ihr Smartphones hören können.

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Weiteres aus den Beamern ist von heute und zeigt exklusiv für das Theatermuseum geführte Interviews. Dazu gehören Mitglieder von Die Zauberflöte um András Fricsay, zu denen auch Jacques Breuer oder Sissy Höfferer gehören, Thomas Petz, der ein Mitbegründer des zwischen 1979 und 1986 bestehenden Internationalen Theaterfestivals ist, Hans-Peter Cloos vom Theaterkollektiv Rote Rübe, das zwischen 1970 und 1976 unter anderen von Konstantin Wecker mit Bühnenmusik versorgt wurde, oder Pierre Politz, der zwischen 1984 und 1989 das Pathos Transport Theater nahe dem Leonrodplatz leitete.

Überbordende Kreativität, egozentrischer Eigensinn und widerborstiger Witz

Der Rundgang beginnt natürlich in Schwarzweiß mit Fotos etwa vom Kellertheater, einer aufmüpfigen Studententruppe von und mit Manfred Beilharz, die sowohl Jean Cocteau als auch Karl Valentin auf dem Spielplan hatte. Dem Literaturkanon verpflichteten sich auch Horst A. Reichel und Irmhild Wagner in ihrem Theater 44, das zuletzt einen Keller in der Hohenzollernstaße bespielte. Andere Wege gingen Uta Emmer mit ihrem Modernen Theater in der Hans-Sachs-Straße oder das Anti-Theater von Rainer Werner Fassbinder, der heute bekannterweise vor allem ein Teil der Filmgeschichte ist.

Am Ende steht ein exklusiv für Alexej Sagerer und sein dem "Theater der Unmittelbarkeit" verpflichteten proT. Bis dahin haben die Ausstellungsleute ein Füllhorn aus Zeugnissen einer überbordenden Kreativität, von egozentrischem Eigensinn und einem widerborstigen Witz ausgeschüttet. Man sollte nicht in die Falle tappen, dass das Theater früher besser gewesen wäre. Aber was sich in manchen unwirtlichen Räumen regte, war sehr neu und gehört längst auch in den Stadt- und Staatstheatern zum ästhetischen Alltag.


Deutsches Theatermuseum, Hofgartenarkaden, Galeriestr. 4a, bis 31. Juli außer Pfingstsonntag dienstags bis sonntags 11 bis 17 Uhr; Katalog: "Die Lust am anderen Theater - Freie Darstellende Künste in München", Henschel-Verlag, 256 Seiten, 32 Euro

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