Die hohe Kunst und das Outfit: Was ziehe ich in der Oper an?

Unter den Ehrengästen der Bayreuther Festspiele wird über den Dresscode nicht diskutiert: Smoking für die Männer, lange Abendrobe für die Frauen. In Jeans und T-Shirt über den roten Teppich laufen? Um Himmelswillen!
Später freilich, wenn der Premierenglanz verschwunden ist, wenn sich auch Normalbürger am Grünen Hügel tummeln, wird es hier legerer. Kaum jemand allerdings erklimmt den Grünen Hügel im Freizeitoutfit – es sei denn, er will nur zur nahen Kleingartenanlage oder zum Kneipp-Becken des Freiluftbades Bürgerreuth hinter den Parkplätzen oberhalb des Festspielhauses.
Dresscode im Theater und der Oper: Was ist tabu, was gern gesehen?
Frauen kombinieren bei den Festspielen aber inzwischen durchaus Sommerkleider mit Ballerinas. Auch Männer ohne Fliege müssen keine geringschätzigen Blicke der Wagnerianer mehr fürchten. Es muss nicht mehr die große Robe sein, es ist sichtbar mehr Liberalität eingezogen in den vergangenen Jahren.
Es gebe keine Vorschriften, heißt es auf der Website des weltbekannten Opernspektakels zur Kleiderfrage. "Aber der festliche Charakter der Veranstaltungen bestimmt das Outfit der Gäste". Und das Wetter sei ja schließlich auch zu bedenken: Das Bayreuther Festspielhaus hat keine moderne Klimaanlage. Im Inneren kann es sehr heiß und stickig werden. Und die für das Publikum unsichtbaren Orchestermusikerinnen und -musiker im Graben tragen dem Vernehmen nach auch keine Fräcke oder dunklen Anzüge.

Weniger zurückhaltend ist seit kurzem die Mailänder Scala, eines der berühmtesten Opernhäuser der Welt. Die Kleiderordnung wurde verschärft. Wer kurze Hosen, Flip-Flops oder Tank-Tops trägt, kommt nicht mehr rein.
In den vergangenen Jahren ließ das Teatro alla Scala – so der offizielle Name – hier Nachsicht walten, doch damit ist nun Schluss. "Die Direktion bittet das Publikum, eine Kleidung zu wählen, die dem Anstand des Theaters entspricht und die das Theater selbst und die anderen Zuschauer respektiert", hieß es in einer Mitteilung.

Betont gelassen gibt man sich dagegen bei der Bayerischen Staatsoper in München. "Kein Opernbesuch ohne Abendkleid oder Krawatte? Quatsch. Wir möchten, dass Sie sich wohlfühlen", schreiben die Verantwortlichen. Das bedeute für viele Besucherinnen und Besucher, dass sie sich für einen besonderen Abend eben auch besonders schick machen. "Einen offiziellen Dresscode gibt es aber nicht: Wir freuen uns über außergewöhnliche Outfits ebenso wie über Jeans und gemütliche Jumpsuits."
Die heikle Balance zwischen bequem und elegant
Was also nun? Die Mehrheit der Menschen, die in eine Oper gehen, begreifen das Ereignis wohl mit Sicherheit als einen besonderen Abend, für den man das Alltagsgewand gerne mal gegen etwas Schickeres tauscht.

Andererseits: Verstärkt ein Dresscode nicht auch noch das Klassenbewusstsein im Kulturbetrieb? Rein kommt nur, wer sich neben den nicht gerade günstigen Tickets auch noch die entsprechende Robe leisten kann? Seit Jahrzehnten wird außerdem ein niederschwelliger Zugang zur Kultur gefordert, und dazu gehört, dass man sich vor dem Theaterbesuch nicht erst eine Krawatte zulegen muss.
Nachfrage bei Carl Tillessen, Geschäftsführer des Deutschen Mode-Instituts (DMI): Er erinnert an die Partys im sagenumwobenen "Studio 54" in New York oder heute im "Berghain" in Berlin – die seien so legendär, "weil sich alle Gäste Mühe mit ihren Outfits gemacht haben". "Wenn da jemand im ausgeleierten Pullover am Rand stünde, wäre das ein Dämpfer."
Ähnliches gelte für einen gelungenen Opernabend. "Man muss sich bewusst machen, dass man als Gast immer auch Teil des Ambientes ist. Mit dem richtigen Outfit trägt man dazu bei, dass das Erlebnis für alle besser wird", so Tillesen. Umgekehrt gelte: "Mit dem falschen Outfit trägt man dazu bei, dass das Erlebnis für alle schlechter wird. Wer darauf keine Rücksicht nimmt, verdient gemaßregelt zu werden."

Es gehe letztlich darum, mit dem Outfit den richtigen Ton zu treffen, sagt Tillessen – egal, ob man auf der Arbeit oder auf der Strandparty sei. "Für einen zeitgemäßen Opernbesuch heißt das, die richtige Balance zu finden aus der Eleganz, die es braucht, um den Abend zu etwas Besonderem zu machen, und der Bequemlichkeit, die man braucht, um stundenlang auf einem alten Klappsitz auszuharren."
Der Experte betont: "Es muss selbstverständlich schon lange kein Smoking und keine bodenlange Abendrobe mehr sein, aber ausgebeulte Shorts und plattgetretene Flipflops bleiben ein Fauxpas." Den meisten Menschen gelinge diese Balance intuitiv. "Das Gespür dafür kann auch ein Dresscode nicht ersetzen, aber er kann das Schlimmste verhindern."

Und noch ein Blick zum zweiten großen sommerlichen Opern-Event neben Bayreuth: nach Salzburg zu den Festspielen. Protokollchefin Suzanne Harf erklärte letztes Jahr den "Salzburger Nachrichten", warum sie sich dem Anlass entsprechende Kleidung wünsche. "Weil bei uns alles so wunderbar ist. Ich organisiere, dass unsere Häuser den schönsten Blumenschmuck bekommen, und unser Reinigungstrupp poliert jeden Winkel."
Besucherinnen und Besucher der Festspiele würden aber auf weniger passende Kleidung nicht angesprochen. "Sie sollen Konzert und Oper trotzdem genießen." Harf erinnerte sich in der Zeitung an einen Klavierabend, als Touristen in kurzen Hosen, Wandersandalen und Rucksäcken der Musik lauschten. "Das finde ich schade. Diese Menschen geben einiges Geld für ihre Karte aus. Da könnte man das bunte Freizeitgewand gegen etwas Angemesseneres tauschen."
Aber ist bei einem Klavierabend nicht letztendlich wichtiger, wie der Pianist spielt und ob seine Kunst das Publikum erreicht?