"Die Befristeten" von Detlev Glanert und Nicola Hümpel nach Elias Canetti

Eine moderne Oper ohne gesungenen Ton: „Die Befristeten“ von Nicola Hümpel und Detlev Glanert im Cuvilliés-Theater
Robert Braunmüller |
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Als die Erde noch wüst und voller Plastiktüten war, schuf Gott aus Ton die Frau als mollige Steinzeit-Venus. Davon bekommt er Rippenschmerzen. 90 Minuten später ist der Mensch frei: Gott wirft den Ton weg, lässt seine Geschöpfe ihren Dreck alleine machen und beginnt eine Karriere als Penner.

So leichtfüßig kann die Regisseurin Nicola Hümpel letzte Fragen auf die Bühne bringen. Sie hat für die Münchener Musiktheater-Biennale im Cuvilliés-Theater Elias Canettis „Die Befristeten“ inszeniert: ein Gedankenspiel über eine Welt, in der das Sterben durch ein sauberes, pünktlich stattfindendes Ritual ersetzt wurde, was eine Gesellschaft von Stadtneurotikern als humanen Fortschritt empfindet, bis es eine Figur radikal und befreiend in Frage stellt.

Musik-Theater

Auf den Kopf gestellt werden auch ein paar Grund-Spielregeln dieses Festivals: Die Musik von Detlev Glanert spielt nur die zweite Geige. Sie wurde auch nicht im obersten Stübchen eines Elfenbeinturms berechnet, sondern aus Improvisationen bei den Proben entwickelt. Niemand singt einen Ton – und so ist der Abend mehr Drama als Oper, und Formen des Musiktheaters zwischen Wittenbrink oder Marthaler näher als die üblichen Hervorbringungen der Biennale.

Hümpel charakterisiert ihre Figuren durch liebevoll-ironische Sprechmasken – am extremsten und auch lustigsten in einem unsentimentalen, sächselnden hässlichen Entlein von Frau. Gerahmt wird dies von sanft choreografierten, lebenden Bildern. Glanerts Musik für die acht Instrumentalisten des Ensembles Piano Possibile hält sich, sofern sie nicht ein Tänzchen wagt, diskret und leise im Hintergrund. Aber sie ist mehr als Hintergrundmusik und vollendet die heitere Stilisierung, die Hümpel den trüben Gedanken Canettis angedeihen lässt.

Die bis Anfang Juni im Repertoire des Resi verbleibende Aufführung hat nur einen Haken: Sie ist ein Viertelstündchen zu lang. Gewiss, man begegnet Gott, der zwischendurch als Priesterkönig der „Befristeten“ amtierte, noch einmal. Diese Rundung aber ist überflüssig: Der Freiheitszweifel der bebrillten Dame im Kostüm wäre das perfekte Fragezeichen zum Schluss gewesen.

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